Filme und Serien #4
"The Square" und "Zarah - Wilde Jahre"
Wann ist der Mann ein Mann?
Kino: Ruben Östlunds "The Square"
Ist es Zufall, dass man bei Christian (Claes Bang) sofort an Chris Dercon denkt? Sicher, der Star-Kurator des fiktiven Stockholmer Kunstmuseums «X-Royal» gleich neben dem königlichen Palast ist ein Stück jünger als der Intendant der Berliner Volksbühne. Aber der lässig zum schmalgeschnittenen Anzug umgelegte Schal, der Fünf-Tage-Bart, die über die Stirn gefönte Haartolle und der smart gewinnende Hundeblick durch das rote Brillengestell (und der leicht belgische Akzent der deutschen Synchronstimme) erinnern schon schwer an den ehemaligen Direktor der Tate Modern Gallery in London.
Ruben Östlunds dieses Jahr in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichneter Film «The Square» weiß im Kunst-Umfeld seines Protagonisten die Pointen scharf zu setzen, doch es geht ihm keineswegs nur darum, den Typus Kurator durch den Kakao zu ziehen. Sein Interesse gilt vielmehr den ideellen und ideologischen Widersprüchen, in denen sich der bürgerliche Kunstbetrieb bewegt: Auf der einen Seite die totale Abhängigkeit vom Kapital, auf der anderen die hochgehaltene Freiheit der Kunst, auch gelegentlich gegen den bürgerlichen Wertemainstream zu verstoßen, der sich um Diversität, Gleichberechtigung, political correctness und gewaltfreie Konfliktlösung bemüht. An einem soften Macho wie Christian werden diese Widersprüche auch deshalb besonders gut sichtbar, weil er ein Mann ist – und weil traditionelle Männlichkeit mit dem immer noch relativ neuen linksliberalen Kunstwertekanon in Konflikt geraten muss.
Ruben Östlund, geboren 1974 im schwedischen Styrsö, hat sich schon in früheren Filmen, etwa in «Höhere Gewalt» («Turist», 2014), für in die Krise geratene heterosexuelle Männlichkeit interessiert. Als eine vermeintliche Lawine in den französischen Alpen auf eine Skihüttenterrasse losrast, bringt Familienvater Tomas nur sich und sein iPhone in Sicherheit, während seine Frau Ebba sich allein über die beiden Kinder beugen muss.
Dieses Versagen in der Vater- und Beschützerrolle wirkt auch wie eine Lawine: Während Tomas sich klassisch «männlich» zu zerstreuen versucht (Extremsport, Bier, Männergespräche) und daran scheitert, verschieben sich in der Familie die Machtverhältnisse. Schon hier ermöglichte Östlund es seinen Zuschauer*innen, gleichsam mit Forscher*Innen-Interesse auf das genau beobachtete und dabei immer wieder überraschende Verhalten der Figuren wie in einer Versuchsanordnung zu blicken.
Auch «The Square» beginnt mit einer solchen «Lawine», dem Auftakt zu einer Reihe weiterer Verunsicherungen, die Christian in seiner Integrität, Männlichkeit und schließlich auch in seiner Rolle als verantwortungsbewusster Kurator in Frage stellen. Auslöser ist ein trickbetrügerisch eingetüteter Überfall auf ihn beim Weg zur Arbeit. Ausgerechnet in einer Situation, in der Christian glaubt, einer hilfsbedürftigen Frau zu helfen, wird er beklaut. Das geht doppelt an die Ehre (falls es die noch geben sollte): Nicht nur seine Hilfsbereitschaft wird ausgenutzt, seine Hilfe wurde erst gar nicht gebraucht.
Christians junger Hipster-Assistent (Christopher Læssø)schafft es jedoch, das gestohlene Handy in einem Sozialen Wohnungsbau zu orten, und stachelt ihn an, den Täter aufzuspüren. Zusammen verfassen und kopieren sie einen Drohbrief mit der Forderung nach Rückgabe des Handys und begeben sich in Christians Tesla auf Rachefeldzug: ein Moment ungetrübten Die-Sau-Rauslassens, Protzens, Mitsingens. Der abrupt endet, als der Assistent plötzlich kneift und die Kopien nicht mehr in die Briefkästen der Wohnmaschine verteilen will. Christian zögert, zieht es dann aber allein durch – mit weitreichenden Folgen.
Obwohl man kaum in Versuchung gerät, sich mit Claes Bangs Christian zu identifizieren, sind die Beschämungen, die er erfährt, und die völlige Ratlosigkeit, die sie bei ihm auslösen, nachvollziehbar: ein Migrantenjunge fordert mit geradezu unheimlicher Penetranz eine Entschuldigung von Christian, weil der ihn mit seinem Brief seinen Eltern gegenüber in Schwierigkeiten gebracht hat. Christian ist selbst geschiedener Vater zweier Kinder, trotzdem fällt es ihm schwer, sich zu entschuldigen.
Und die Journalistin (Elisabeth Moss), mit der Christian einen einvernehmlichen One-Night-Stand, aber auch einen bizarr-komisches Hickhack um die Entsorgung seines Kondoms hatte (er befürchtet, dass sein wertvolles Sperma für eine eigenmächtige Zeugung missbraucht werden könnte), konfrontiert ihn nach dieser Nacht im Museum überraschend aggressiv mit seinem Verhalten Frauen gegenüber. Soll er sich nun „wie ein Mann“ verhalten? Aber wie verhält man sich denn nun als Mann «richtig»?
Das Kunstbetriebsumfeld, das Ruben Östlund um Christian in Szene setzt, ist stärker noch als hierzulande weiblich definiert: Die kühle, sachliche Eleganz von Christians Chefin, die ihm am Ende einen „freiwilligen“, öffentlich kommunizierten Rücktritt abverlangen wird, spiegelt sich in den großzügigen Ausstellungs- und Verwaltungsräumen, in der gediegenen Prachtentfaltung bei Stiftungstreffen und Eröffnungsfeierlichkeiten.
Toleranz und gleichberechtigte Selbstverwirklichung bestimmen Kommunikation und Diskurs – von der Mitarbeiter*innensitzung, zu der ein älterer Vater, der Chef einer PR-Agentur, selbstverständlich sein maunzendes Baby mitbringen darf (wie eine Trophäe), über das Publikumsgespräch mit erduldeten Beschimpfungen eines anwesenden Tourette-Erkrankten bis hin zur ausgestellten Kunst, etwa dem Titel gebenden, als utopischer Freiraum gedachten Bodenquadrat «von Lola Arias», für das der durch seine Drohbriefaktion abgelenkte Christian eine ebenso provokante wie geschmacklose Online-Werbekampagne mit einem in die Luft gesprengten Mädchen beiläufig durchwinkt.
Überhaupt klaffen in der konfliktbefriedeten Kunstwelt überall kleine Lücken, durch die explosiv Druck entweicht. Eher harmlos ist es noch, wenn der seine Menüfolge vortragende Koch die Gäste anbrüllt, weil keiner ihm zuhört. Drastisch spitzt sich die Lage zu, als beim Sponsorendinner ein Performer als «Affenmensch» (in einem Video ist er Teil der Ausstellung) auch leibhaftig über die eingedeckten Tische rast und schließlich fast eine junge Frau vergewaltigt. Hier ist der Rahmen «Kunst» so wirksam (oder das «Animalische» so einschüchternd), dass erst in letzter Sekunde Gäste eingreifen – wobei sich ausgerechnet die älteren Männer zutrauen, handgreiflich zu werden.
Und doch lässt sich «The Square» in keinem Moment als Feldzug gegen emanzipatorische Errungenschaften, als Aufforderung zur Rückkehr zu traditionellen Kunst- oder Rollenbildern oder gar als anti-intellektueller Reflex missverstehen. Dazu ist der Film, trotz kleiner surrealer Schlenker oder gezielt ins Leere laufender Plot-Fäden, zu präzis und kritisch in seinen Fragen und Beobachtungen. Gleichzeitig zeigt er sehr genau, dass jede Veränderung auch etwas kostet – und sei es das Privileg, sich in seiner sozialen Rolle einfach sicher zu fühlen.
Eva Behrendt
Claudia Eisinger über "Zarah" Quelle: ZDF
Zurück in die Zukunft
Serie: "Zarah - Wilde Jahre"
Es lohnt sich! Auch wenn es das ZDF SerienliebhaberInnen schwer macht, die Serie „Zarah“ zu Ende zu sehen. Erst wurden zwei Folgen direkt hintereinander ausgestrahlt, dann wurde die Serie ausgesetzt wegen schlechter Quoten, dann wurde sie zu ZDF Neo auf einen nächtlichen Sendeplatz verlegt. In der ZDF-Mediathek kann man aber bis 01.12.2017 noch alle Folgen ansehen.
Warum man das tun soll? Weil die Geschichte zwar 1973 spielt, aber nicht aktueller sein könnte. Die Hauptfigur Zarah Wolf (gespielt von Claudia Eisinger, ehemals Ensemble-Mitglied am Deutschen Theater Berlin) kehrt, nachdem sie zwei Jahren in London gelebt hat, in ihre Heimatstadt Hamburg zurück. Dort wird sie stellvertretende Chefredakteurin beim auflagenstärksten Wochenmagazin „Relevant“. Ein Angriff auf die Männerwelt.
Zarah hat einen schweren Stand in der Redaktion, eine weibliche Führungskraft wird nicht ernst genommen. Sie darf nicht wirklich ausreden, und ihre Ideen werden nicht berücksichtigt. Zarah ist immer auf Angriff gepolt, Diplomatie ist nicht ihre Stärke. Ihren Job hat sie dem Verleger Olsen (Uwe Preuss) zu verdanken, der sie einstellt, weil er sich mehr Leserinnen für sein Magazin erhofft und weil die Feministin Zarah Wolf durch ihre Bücher „Die ungehorsame Frau“ und „Die dominante Frau“ bereits eine Berühmtheit ist. Chefredakteur Kerckow (Torben Liebrecht) bemerkt beim ersten Gespräch trocken: „Ich hatte Sie eher als Aktivistin wahrgenommen, nicht als Journalistin.“
Ein bisschen Respekt kann sie sich erst verdienen, nachdem sie auf eigene Faust das Titelbild neu fotografieren (ein nackter Männerhintern, anstelle weiblicher nackter Brüste – Skandal!) und ohne Absprache ändern lässt (nur mit Hilfe der Grafikerin Beermann, gespielt von Sarina Radomski). Zarah drängt sich ihren männlichen Kollegen auf, mischt sich sein, hat immer eine starke Meinung und eckt damit ständig an. In ihrer Freizeit ist sie Teil einer Aktivistinnen-Gruppe, die Busfahrten nach Holland organisiert, wo Frauen schon damals ungestraft abtreiben konnten.
Gekonnt verwendet die Serie immer wieder echte Fernsehaufnahmen aus den 70ern, beispielsweise von Demonstrationen gegen den Abtreibungsparagraphen 218. Perfekt dazu passen auch die liebevoll, mit Originalkleidung aus der erzählten Zeit gestalteten Kostüme von Petra Kilian und das historisch genaue Szenenbild von Zazie Knepper.
Selbstbewusst, stark, unantastbar, aber auch einsam legt Claudia Eisinger ihre Figur an. Bis zum Ende der Serie erntet sie keine Anerkennung für ihre Arbeit. Den männlichen Kollegen ist sie immer noch lästig. Auch im Privaten hat sie keine Unterstützung. Sie kämpft allein. Erst als sie sich verliebt und herausfindet, dass ihre Mutter schwer krank ist, zeigt Zarah auch weiche Seiten, wird durchlässiger.
Und da sind wir bei einem Grund, warum diese Figur immer noch so perfekt funktioniert: Auch uns fällt immer noch auf, dass diese Frau wenig diplomatisches Geschick und Einfühlungsvermögen zeigt. Beim Kulturredakteur und Vorzeigemacho Georg Hartwig (Ole Puppe) stört das nicht. Doch von einer Frau erwartet man das unwillkürlich immer noch.
Genau deswegen ist diese Serie so wichtig. Der Weg zu einer gleichberechtigten Berufswelt ist noch lang.
Elena Iris Fichtner