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Rezensionen 21.9.

Anja Herden. Foto: www.lupispuma.com / Volkstheater

Shakespeare «Der Kaufmann von Venedig» in Wien

Am 25., 28. September, 3., 9.,11., 21., 27., 28. Oktober im Volkstheater

Man vergisst gern, dass «Der Kaufmann von Venedig» eigentlich eine Komödie ist. Der Handlungsstrang um die reiche Portia, die mittels Kästchenspiel einen geeigneten Mann sucht, könnte aus dem Märchenbuch stammen. Und das aberwitzige Leihgeschäft zwischen Antonio und Shylock, in dem ein Pfund Menschenfleisch als Pfand dient und ein falscher Winkeladvokat am Ende das Recht verdreht, ist Stoff für einen derben Schwank. Das Problem dabei: Shylock ist Jude. Das rückt das Stück, jedenfalls aus heutiger Perspektive, stark in Richtung Tragödie.

Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie? Im Wiener Volkstheater, wo Intendantin Anna Badora das Stück zum Saisonauftakt inszenierte, stehen die Zeichen stark auf grelle Komödie. Die Bühne (Thilo Reuther) ist eine Mischung aus prolligem Spielcasino und trashiger TV-Kulisse. Venedig präsentiert sich als halbseidenes Zockernest, die Clique um Antonio ist ein unsympathischer Haufen aalglatter Macho-Ragazzi, die sich zu wummerndem Discosound wegshaken, schlechte Witze auf Kosten von Blondinen und Juden reißen und zum Maskenfest als Horrorclowns gehen. Ausgesucht billig auch die Kulisse für die Portia-Szenen: Wie in einer dieser endlosen Gameshows im italienischen Fernsehen wird ein Glücksrad auf die Szene geschoben, an dem die Freier drehen müssen. Damit ja kein Falscher gewinnt, wird das Glücksrad offensichtlich manipuliert. Alles ist falsch hier, das gilt auch und ganz besonders für die Gefühle.

An Gameshows ist auch Badoras zentrale Inszenierungsidee geschult: Zu Beginn der Vorstellung entscheidet das Publikum, wer an diesem Abend den Shylock spielen soll; der Sieger wird per «Applausometer» bestimmt. Zur Auswahl stehen «Kapitalist» (Rainer Galke), der orthodoxe «Wiener Jude aus dem zweiten Bezirk» (Sebastian Pass) und die «erfolgreiche Geschäftsfrau mit Migrationshintergrund» (Anja Herden); es gibt die Inszenierung also in drei verschiedenen Varianten. Bei der Premiere fiel die Wahl auf Anja Herden, sie spielt eine toughe, kettenrauchende Businessfrau, die in dieser Männergesellschaft schon qua Geschlecht ein Fremdkörper ist; die Shylock wird nicht ernst genommen, der Deal mit dem Pfund Menschenfleisch ist für Antonio einfach nur eine komische Grille. Den Antonio gibt in dieser Version Rainer Galke, und wie der ein verklemmtes Alphatier, einen falschen Moralisten und einen unglücklich verliebten Homosexuellen spielt, sorgt für die vergnüglichsten, lebendigsten Momente dieser insgesamt wenig subtilen Veranstaltung.

Wie Galke wohl den Shylock gespielt hätte? Und was dann aus Antonio geworden wäre? Solche Fragen sind noch der reizvollste Aspekt von Badoras merkwürdiger Multiple-Choice-Idee, die das Publikum in die undankbare Rolle des antisemitischen Wiener Bürgermeisters Karl Lueger («Wer ein Jud’ ist, bestimme ich!») zwingen soll. Die Provokation, die darin steckt, geht schon deshalb ins Leere, weil die Wahl nicht ernst zu nehmen ist und auch nicht ernst genommen wird. Wir sind ja im Theater, und da wählt man natürlich den Schauspieler oder die Schauspielerin, den oder die man am liebsten in der Rolle sehen würde. Vor der Pause darf das Publikum dann übrigens entscheiden, wer im zweiten Teil des Abends Shylock sein soll. In der Premiere bleibt es bei Anja Herden. Wer einen anderen Shylock sehen will, muss also mindestens noch einmal kommen. Die meisten werden es wohl beim Gedankenspiel belassen.

Wolfgang Kralicek

http://www.volkstheater.at/stueck/der-kaufmann-von-venedig/