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Rezensionen 14.9.

Strauss «Arabella» in Düsseldorf

Am 21., 27. September, 3. Oktober im Opernhaus

Weißkühl und zugig ist die Bühne, die Henrik Ahr für die Düsseldorfer «Arabella» entworfen hat. Ohne Raum zum Rückzug, Winkel für Vertraulichkeiten. Im Gegenteil: Die hintere Wand bilden zwei portalhohe, zusammen bühnenbreite Drehtüren, durch die immerfort einer hineingeweht oder hinausgeblasen wird. Ein solcher Ort lässt sich unmöglich kontrollieren; diese Erfahrung macht Zdenka gleich in der ersten Szene. Während Mutter Adelaide mit der Kartenaufschlägerin schäkert, kämpft sie mit einem steten Zustrom von Paketsendungen und Rechnungen – und hat damit gerad’ so viel Erfolg wie Sisyphos mit seinem Fels. 

Angesichts der Schachteltürme darf man vermuten, dass am Niedergang der Familie Waldner Adelaides Shopping-Wahn nicht minder schuld ist als die Spielsucht des Rittmeisters a.D. Der eigene Verantwortungsmangel beschwert die Eltern freilich kaum – sie können’s kaum erwarten, die Töchter zu verscherbeln, und sind auf dem Fiaker-Ball weit mehr in ihrem Element als der Nachwuchs. Regisseurin Tatjana Gürbaca führt uns an diesem Paar auf amüsante Weise die so gar nicht amüsante Zukunft vor, die Arabella an der Seite eines der drei Grafen bevorstünde: In ihren 80er-Jahre-Klamotten gehaben sich Elemer, Dominik und Lamoral als verzogene Collegeboys. Und genau das ist auch Waldner im Grunde seines Herzens immer noch – die Blousonjacke, die unter seinem Jackett hervorlugt, offenbart Geistesverwandtschaft. 

Kein Wunder, dass Arabella beim Anblick Mandrykas die Chance zur Flucht vor diesem 
Leben wittert. Vielleicht sogar zur Flucht aus dem Leben überhaupt: Wenn sie von seinen «großen ernsten festen Augen» träumt und sich die Drehtüren auf eine schneebesprengte, graue Leere öffnen, sieht das nach Todessehnsucht aus. Ihr tall dark stranger – er kommt mit einer witzig-wilden Entourage aus Jägern, Räubern, Terroristen – ist ja auch ein poltriger Tyrann, ein gewaltbereiter Psychopath. Die Brutalität, mit der er auf dem Ball die Fiakermilli frustvögelt, lässt für Arabella nichts Gutes ahnen. Unerträglich die Geschehnisse im letzten Aufzug: Um ein Haar wird Arabella vom inzwischen halbwahnsinnigen Matteo vergewaltigt. Als seine Hand dann notlösungsmäßig in Zdenkas gepappt wird, sieht er die Ärmste nicht mal an. Und Arabella kleidet sich für den Verlobungsumtrunk mit Mandryka wie für eine Trauerfeier. «Wehtun und Verzeihn»? Die «hohen, stillen Wälder» verströmen Grabeskälte. Teilte sie mit ihm nicht Wasser, sondern einen Schierlingsbecher – man könnt’s ihr nicht verübeln.

Tatjana Gürbaca hat mit Komik im Detail und tragischer Grundströmung für die in diesem Stück so schwierige Mischung eine überzeugende Lösung gefunden: ein starker Abend. Schief geht bloß das finale Bild des zweiten Aufzugs. Dass der Ball in eine Orgie übergeht, ist per se plausibel – passieren tut bloß platte Rammelei. Umso stärker dafür, wie Gürbaca die Figuren aus den Sängerpersönlichkeiten heraus erarbeitet hat.

Wiebke Roloff

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