Medientipp 7. September
«Mr. Gay Syria»
Natürlich ist es schrecklich, wenn man als Geflüchteter seine Heimat verliert. Schlimmer ist es noch, wenn der Ort, von dem man geflohen ist und der Heimat gewesen zu sein schien, in Wahrheit nie Heimat war. Weil man auch dort bestenfalls ein im Dunklen Geduldeter war, ein von Anbeginn an Ausgegrenzter...
Davon erzählt der Film «Mr. Gay Syria». Ein junger Mann, Hussein, Syrer, 23, verheiratet, richtiger: zwangsverheiratet, Vater einer Tochter, die er sehr liebt, flieht aus politischen Gründen – doch seine politischen Gründe sind doppelgesichtig. Gegenüber seiner Familie, die mit ihm floh, trägt er weiter die scheineindeutige Maske des Heterosexuellen. Gleichzeitig hat er im Zentrum von Istanbul, wo er als Friseur arbeitet, ein heimliches zweites Leben – als Schwuler. Und nimmt, von viel weiter gehenden Fluchtwünschen getrieben, teil am unter Ausschluss der türkischen Öffentlichkeit veranstalteten Wettbewerb «Mr. Gay Syria», dessen Sieger später auf Malta am «Mr. Gay World»-Kontest teilnehmen soll.
Ein Visum für die Reise dorthin wäre die persönliche Rettung. Die Kalamität ist vorhersehbar. Irgendwie und Gott sei Dank bekommt er zwar kein Visum – als unerwünschter Syrer. Sonst wäre er vor der Welt als Schwuler erkennbar geworden. Doch die Identitätskrise bleibt nicht aus. Denn sein kleiner Erfolg als «Mr. Gay Syriah» in Istanbul bleibt der Familie nicht verborgen. Er wird verstoßen.
Der Film dokumentiert die Aussichtslosigkeit von Husseins Lebenssituation: Das Schicksal eines doppelten Flüchtlings – aus der Welt des Krieges und aus der Welt der Familie mit ihren kulturellen und religiösen Zwängen. Der Trailer zeigt (marketinggetrieben) viel bunten Trubel, weniger die graue Wirklichkeit, die der gesamte Film deutlich dokumentiert. «Mr. Gay Syria» ist also durchaus sperrig. Aber dabei höchst erkenntnisträchtig.
Michael Merschmeier