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«Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm»

Medientipp 14.9.

Es ist eine wahre Geschichte, fast vergessen: der Streit um die Verfilmung des unerwarteten Sensationserfolgs der «Dreigroschenoper» 1928 im Theater am Schiffbauerdamm. 1930 landete er vor Gericht. Brecht hatte ein eigenes Filmexposé geschrieben, «Die Beule», sehr viel schärfer und politisch pointierter als die Erfolgsoper um den Bettlerkönig Peachum und den Gangster Macheath, das die Nero-Film-AG «als politisch neutrale Firma» für Georg Wilhelm Pabsts Verfilmung nicht zulassen wollte. Brechts Urheberrechtsklage wurde vom Gericht abgewiesen, der Dramatiker, der gerne mit seiner eigenen «Laxheit in Fragen des geistigen Eigentums» kokettierte, stilisierte in einer dialektischen Volte in seinem Text «Der Dreigroschenprozess» die Niederlage um zum «soziologischen Experiment».

Der Fernseh-Regisseur und Brecht-Spezialist Joachim A. Lang jongliert in «Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm» auf einer von diversen Ebenen auch mit dem Versuch, Brechts Filmexposé in Szene zu setzen, das wie Langs Film beginnt mit der Weisheit letzter Schluss im Gauner- und Bettler-London: «Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.»

Die Spiel- und Zeitebenen wechseln im Minutentakt – von der Rahmenhandlung in die szenische Umsetzung des alternativen Dreigroschen-Entwurfs, vom Endproben-Krach im Berliner Ensemble zum erträumten Drehset in London, wo der Mond in Benedikt Herforths opulentem Setting gleich zweifach über der Themse aufgeht, zum Büro des schimpfenden Produzenten («politische Tendenz geht im Kino gar nicht»), der nach Einfühlung verlangt.

Um im nächsten Schnitt sofort zu zeigen, was das für den Film heißen könnte: Voice-over, Kapitelüberschriften, darüber hat Lang mal seine Doktorarbeit geschrieben.

Was der Regisseur seinem Brecht Lars Eidinger abverlangt, ist eine Brecht-gemäße Herausforderung gegen das romantische Glotzen: Kein Wort soll über seine Lippen kommen, das nicht belegt ist in Interviews, Briefen, Stücken und Bonmots des Großdramatikers. Aber wie spielt man eine zu Text gewordene Selbstinszenierung? Eidinger schafft es tatsächlich, Brechts pointiertes Schriftdeutsch im zurückgenommenen Zigarrenspiel so beiläufig wie möglich fallen zu lassen: inhalieren, Backen aufblasen, auspusten – und schon ist ein neuer Gedanke da. Aber die Anführungszeichen hört man nolens volens mit. Das kann man V-Effekt nennen.

Als Antidot zum dramaturgischen Diskurssprech taugen jedoch nach wie vor die unverwüstlichen Weill-Songs. Max Raabe rollt die Mackie-Messer-Moritat zur Drehorgel von den Lippen. Und die fabelhafte Schauspielercrew singt, wie von Brecht gewünscht, alles selbst: Britta Hammelstein ist gleichzeitig Jenny, ein rauhstimmiges Verruchtheitstier, und Weill-Ehefrau Lotte Lenya; die erdige Meike Droste bringt Helene Weigel als rückhaltlos vom polyamoren Ehemann Brecht begeisterte Gattin ins Spiel; Joachim Krol versteckt die Skrupellosigkeit des Bettlerkönigs Peachum, der aus dem Elend Kapital schlägt, hinter demonstrativer Biederkeit und gebrochenem Herz, als Tochter Polly (Hannah Herzsprung) dem perfiden Charme von Mackie Messer erliegt. Den spielt Tobias Moretti, ganz in Brechts zugespitztem Sinn, als Gangster und Nouveau Riche mit allen Erkennungsszeichen des Bürgerlichen.

Und das ist auch das Ende vom Lied: Zum Gesang der Seeräuber-Jenny marschieren sie auf, die einst Gangster waren und Bettler – mit Krawatten und Krägen, der Kapitalismus hat alle eingesackt. Mackie ist Chef der National Deposit Bank und versöhnt mit Peachum, im Dreiteiler mit Hut und ganz und gar im Heute. Aus dem Off klingt O-Ton Brecht: Wir leben in finsteren Zeiten.

Wie die «Dreigroschenoper» in den finsteren Zeiten vor 90 Jahren übermalt Langs Brecht-Hommage «Dreigroschenfilm» die Finsternis allerdings so bunt und wohlklingend, dass alle akademische V-Effekt-Bemühung den warenförmigen Spaß kaum zu schmälern vermag.

Barbara Burckhardt