Rezensionen 18. April
Warschau: Liam Scarlett, Krzysztof Pastor «Nasz Chopin»
Am 27., 28. und 30. April im Teatr Welki
«Notre Chopin» nennt sich der Ballettabend, auf Polnisch: «Nasz Chopin». So ganz stimmt das nicht. Seine Gebeine sind in französischer Erde bestattet. Nur das Herz hat, in einer Säule der Heiligkreuzkirche eingemauert, in Warschau seine letzte Ruhe gefunden. In Cognac gebadet, brachte es seine Schwester 1849, Frédérics Wunsch folgend, zurück in die Heimat. «Denn wo euer Schatz ist», so lautet die Inschrift auf der Gedenktafel, «da ist auch euer Herz.»
An Herzblut fehlt es nicht bei dem Doppelprogramm, mit dem das Polski Balet Narodowy unweit der Heiligkreuzkirche der hundertjährigen Wiederkehr der polnischen Unabhängigkeit gedenkt. Der Einheitsraum im Teatr Wielki gleicht einem Stück ausgerollten Papiers, mit dem Tatyana van Walsum möglicherweise auf eine Vertragsunterzeichnung anspielt. Auch das Weiß und Rot ihrer Kostümierungen könnte beim «Koncert f-Moll» durchaus als Verweis auf die Flaggenfarben verstanden werden. Vielleicht lässt sich das ganze Stück, das einem Außenstehenden eher abstrakt vorkommt, ja durchaus als Geschichtsabriss verstehen – und als Memento, das die gegenwärtige Politik Polens reflektiert. Krzysztof Pastor hat es jedenfalls als Auseinandersetzung zwischen Individuum und Kollektiv choreografiert und das ebenso vielschichtig wie virtuos, spannend und zugleich subversiv. Kein Wunder, dass er sich lange bitten ließ und das Programm mit Standing Ovations feierte.
Von Liam Scarlett wird niemand die gleiche Hintergründigkeit erwarten dürfen wie von einem Direktor, der sein Ballett nicht zuletzt als ein Bekenntnis versteht. Seine Ästhetik sieht anders aus. Der Artist in Residence des Royal Ballet London (und Artistic Associate des Queensland Ballet) beschwört die Leichtigkeit des Seins, auch wenn Chopin den Mittelsatz des «Koncert e-Moll» eigenen Worten zufolge eher «romanzenhaft, ruhig und melancholisch» angelegt hat. Wiederholt werden die Arme seiner Tänzer leicht erhoben, als wollte man dem Komponisten erst mal Reverenz erweisen, bevor man sich ganz in seine Musik «fallen» lässt: mal sehr verspielt, ja sogar übermütig die Bühnenrampe heruntergleitend, dann wieder ernsthaft tanzend, elegisch – ganz den Intentionen Krzysztof Jablonskis folgend, der am «fortepian» den Ton vorgibt. Yuka Ebihara, Patryk Walczak, Chinara Alizade, Dawid Trzensimiech & Co. lassen es beim «Koncert e-moll» an keiner Ausdrucksfarbe fehlen. Und auch im anschließenden «Koncert f-moll» sind alle geradezu ehrfürchtig bei der Sache. Ein wenig Cognac, da bin ich mir sicher, hätte diesem «Chopin» gleichwohl nicht geschadet.
Hartmut Regitz