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Rezensionen 18. April

Peter Moltzen & Chor, Foto: Katrin Ribbe

Berlin: Shakespeare «Othello»

Am 18., 25. April, 2., 3., 10. Mai 2019 am Berliner Ensemble

Da steht, in tiefem Bühnenschwarz auf weißem Grund: Othello. Der nackte Leib rot eingefärbt von Kopf bis Fuß. Markiert, aber nicht schwarz, sondern blutrot. So beginnt zu wummernden Beats (Ludwig Wandinger) vom zentral über Olaf Altmanns leerer Bühne thronenden göttergleichen Schlagzeug Michael Thalheimers «Othello» am Berliner Ensemble. Was will das Rot uns sagen? Den «Moor of Venice», so der originale Titelzusatz des Shakespeare-Dramas, haben wir im Kopf als Inbegriff des Schwarzen im Theaterkanon. Lässt diese Zuschreibung sich so simpel übermalen? Wofür steht die Stellvertretermarkierung blutrot?

Ingo Hülsmann lässt daran von der ersten Minute, in der er in lässiger Macho-Pose an der Rampe steht, keinerlei Zweifel: Rot ist der Mann, der General, der Aggressor. Als Desdemona, Sina Martens, ein züngelndes Püppchen mit krächzendem Stimmchen, ihn hingerissen bespringt, färbt sein Rot ihre weißgeschminkte Nacktheit blutig ein. Der simulierte Geschlechtsakt mündet in ein Würgen, das Desdemonas Tod vorwegnimmt: Küsse sind Bisse, Männer sind Tiere. Die Zeichen sind gesetzt ab der ersten Minute dieses zweistündigen Abends. Der 30-köpfige Chor, der fast dauerpräsent im Hintergrund die Vorgänge beobachtet und gelegentlich kommentiert, skandiert: «Abscheulich, grauenhaft, abstoßend, scheußlich», und meint die Farbvermischung, das Weiß, das Othello sich auf seinen nackten Körper holt im Fick mit Desdemona.

Michael Thalheimer dürfte das Problem der Markierung mehr als bewusst sein: 2011 war seine Inszenierung von Dea Lohers «Unschuld» mit zwei karikaturesk schwarz geschminkten Schauspielern als afrikanische Migranten der erste Anlass für eine Blackfacing-Debatte, die bis heute nicht verstummt ist. Das Deutsche Theater reagierte prompt und schminkte um: in grelles Weiß, was immer damit behauptet werden sollte. Jetzt also deutet Thalheimer den Prototyp alles Schwarzseins und rassistischer Ausgrenzung um in, ja was? Einen Vertreter des aussterbenden Typus «toxischer» Männlichkeit, wie manche Kritiker es wahrnahmen, unter Auslassung der Rassenzugehörigkeit? Der rotgefärbte Schwarze, ins Allgemeinmännliche versetzt?

Trotz kräftiger Striche bleiben in Thalheimers Textfassung allerdings durchaus einige Hinweise auf den «Moor» Othello enthalten, die Ankündigung auf der Website des Berliner Ensembles spricht explizit vom «schwarzen General» und die «Wunden des alltäglichen Rassismus», dito das Programmheft, wo Dramaturg Bernd Stegemann Jagos perfides Intrigenspiel «ein teuflisches Machwerk» nennt, mit dem «Jago den ... Ausgegrenzten zu eben dem Zerrbild macht, für das der Rassismus ihn halten will». Aber macht Thalheimers Inszenierung nicht genau dasselbe, wenn sie eine der beliebtesten Angstzuschreibungen des Fremden, die testosterongesteuerte Triebhaftigkeit, Ingo Hülsmanns blutigem Othello vom ersten Auftritt an in Körper, Haltung, Stimme einschreibt?

Hülsmanns Othello ist ein Kerl, der durchs Feuer ging, berstend vor Selbstbewusstsein, einer, der alles selbst hingekriegt hat: den Aufstieg zum General, die Eroberung der besten Partie Venedigs. Ein Archetyp der alten Art, der Neid und Hass auf sich zieht nicht durch sein Fremdsein, sondern durch Erfolg. Thalheimers Strichfassung hat einiges getilgt, Jago braucht für sein perfides Vernichtungsspiel keine andere Motivation mehr als die, weniger erfolgreich zu sein als sein General, und Peter Moltzen kaschiert als stämmiger Biedermann, der mit Othellos Macho-Potenz nicht ansatzweise mithalten kann, sein Intrigenspiel mit schmeichelnden Fingerübungen. Ein Schurke im Engelskleid, herausgetreten aus dem allgegenwärtigen Chor der hinter Masken versteckten Zurückgesetzten in ihren grauen Kutten: eine Akzentverschiebung vom Rassismus zu Klassismus, wie Stegemann, Mitgründer der linken Sarah-Wagenknecht-Bewegung «Aufstehen!», sie in seinem letzten Buch «Die Moralfalle» herbeisehnt.

Neben dem allzeit bereiten Weibchen Desdemona braucht es nur noch zwei weitere Prototypen, um die solcherart eingedampfte Version eines komplexen Dramas zu erzählen: Nico Holonics Cassio hat nicht viel mehr zu tun, als Jago mit einem langen Zungenkuss zu beglücken und als besoffenes Hampelmännchen über die Bühne zu torkeln. Kathrin Wehlisch als Emilia mit geerdetem Berliner Zungenschlag gewinnt deutlich mehr Kontur, wenn sie am Ende, als sie ihre Beteiligung am bösen Spiel mit dem Taschentuch erkannt hat, zum längst überfälligen Bashing der «Blödmänner und Idioten» ausholt – zu spät. Jagos Spiel hat Othello vom Macho-Poser zu Boden gezwungen, stammelnd und stotternd, ein unedler Wilder, der mit ausfahrenden Gesten und gebleckten Zähnen schreit, röhrt und röchelt: das Tier im Manne, ins äußerste Klischee getrieben. Das Schlagzeug nach Bert Wredes Score ist zur tickenden Uhr geworden, der Mord an Desdemona vor der stummen Wand des Chors zitiert die Eingangsszene: Es kommt, wie es kommen muss. Als Emilia an der Rampe die Wahrheit enthüllt, schlitzt Jago ihr die Kehle auf und reicht das Messer weiter an Othello.

Die Bühne kreist, die Welt nimmt ihren Lauf. Ein Männerding, egal ob schwarz, ob rot? Da waren wir doch schon mal ein Stück weiter.

Barbara Burckhardt

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