Rezensionen 18. April
McTeague, Foto: Manja Herrmann
Bremerhaven: Bolcom «McTeague – Gier nach Gold»
Am 20. April und 12. Mai Großen Haus
«Das letzte Theater vor New York», so prangte es ebenso reißerisch wie augenzwinkernd auf der letztjährigen Spielzeitvorschau des Stadttheaters Bremerhaven. Intendant Ulrich Mokrusch weiß sein Haus zu verkaufen, und das mit einem Erfolg, der jetzt auch internationale Dimensionen annimmt. Denn nahezu gleichzeitig mit der Nachricht von dessen Vertragsverlängerung (bis 2025) wurde bekanntgegeben, dass die im Juni 2018 in Bremerhaven gezeigte Kriminaloper «Der Untermieter» («The Lodger») von Phyllis Tate, kurz darauf im «Opernwelt»-Jahrbuch als «Wiederentdeckung der Saison» nominiert, nun auch für die gleiche Sparte der «International Opera Awards» vorgeschlagen worden ist. Für das kleine Theater im Norden eine große, aber auch eine verdiente Ehrung.
In seinem Bestreben, dem Publikum nicht nur Bekanntes zu bieten, präsentierte Mokrusch jetzt als Deutsche Erstaufführung William Bolcoms bereits 1992 an der Lyric Opera of Chicago aus der Taufe gehobene, aber erst 2016 nach Europa, ans Landestheater Linz, transferierte Western-Oper «McTeague» unter dem deutschen Titel «Gier nach Gold». Auch dies ein Stück, das man in Anbetracht der langen Jahre seiner Nichtbeachtung in unseren Breiten getrost als Neu- oder Wiederentdeckung bezeichnen kann.
In «McTeague» geht es um einen betrügerischen Zahnarzt (dem einzigen seines Berufsstandes übrigens, der es bisher auf eine Opernbühne geschafft hat), der seine Tätigkeit ohne Diplom ausübt und – nach dem Verrat durch einen falschen Freund – auf die soziale Abstiegsleiter gerät. Aus Besitzgier wird er zum Mörder seiner Frau, die ihn – durch einen Lotteriegewinn reich geworden – an ihrem neu gewonnenen Vermögen nicht teilhaben lassen will. Später bringt er auch noch den Verräter um und stirbt schließlich, mit Handschellen an dessen Leiche gefesselt, im Death Valley an der Grenze von Nevada und Kalifornien einen grausamen Dursttod.
Bolcoms Librettisten haben diese Kolportage-Story in die Form einer klassischen Rückblende gefasst, über die Kurt Oppens, der Rezensent der Uraufführung (siehe OW 1/1993), damals nicht glücklich war, die sich aber jetzt in Matthias Oldags Inszenierung als durchaus praktikabel und sinnvoll erwies. Denn der Regisseur und seine Bühnenbildnerin Susanne Richter setzen mit der surrealistisch gezeichneten Todesszene gleich zu Beginn eine Art «Memento mori» als deutlichen Kontrast zu dem mit viel realistischer Detailfreude und manchem ironischen Aperçu ausgemalten Bilderbogen der eigentlichen Handlung – der Schilderung des durch Goldgier verursachten moralischen Verfalls. So ist eine fantasiereiche Inszenierung mit klarer Aussage entstanden, die wieder einmal den Beweis liefert, wie überzeugend man in Bremerhaven mit abseits des Repertoirs liegenden Stücken umzugehen versteht.
Auch musikalisch. Bolcoms Stil ist nicht leicht zu charakterisieren. Seine Musik als eklektisch zu bezeichnen, griffe zu kurz. Ihren Reiz bezieht sie aus einem eigenständigen Verarbeiten fremder Elemente, Formen und Stile, die zu einem höchst persönlichen neuen Ganzen zusammenschmilzen. Cakewalk, Ragtime, Musicalsound, Country und Folk werden gemischt mit Opern-Ingredienzen wie Liebesduett (an Puccini- und Operettenanklänge angelehnt), Rachearie und Wahnsinnsszene, dazu einer leichten Prise Avantgarde gewürzt. Und doch hört man immer wieder Bolcom.
Dieses Changieren versteht das Bremerhavener Philharmonische Orchester unter seinem GMD Marc Niemann zu vermitteln, auch die Sänger bewältigen die zum Teil extremen Anforderungen ihrer Partien erstaunlich sicher: James Allen Smith mit standfestem Heldentenor die fast Siegfried-Dimensionen streifende Rolle des McTeague, Tijana Grujic die den Goldmünzen in neurotischer Liebe als little babies verfallene Trina, Marek Reichert als racheschäumender Freund Schouler, nicht zuletzt Patrizia Häusermann, die in der Rolle der Putzfrau Maria Miranda eine formidable Persönlichkeit zur Schau stellt. Ein Werk, das vielleicht auch für andere Bühnen interessant wäre.
Gerhart Asche