Spiel mit dem Körper
Franz Rogowski - Tänzer, Fahrradkurier, Schauspieler
Er hat Ecken, Kanten und sehr viel Körper: Der ehemalige Tänzer Franz Rogowski zählt zur Top-Riege deutscher Filmschauspieler. Wieso hat er die Spur gewechselt?
Ein dampfender Körper bei der Arbeit: Für Franz Rogowski ist das ein Sehnsuchtsort. Derzeit Filmschauspieler, nachgefragt und viel bepreist, hat Rogowski seine Karriere als Bühnentänzer begonnen, bei Constanza Macras, Falk Richter, Contact Gonzo – und diese Prägung bleibt. Filmfiguren entwickelt er über die Physis: «Ich suche körperliche Einstellungen. Die Hauptfigur in ‹Love Steaks› zum Beispiel lief immer ganz nah an den Wänden. Das war jemand, der die Schuld bei sich gesucht, den Kopf eingezogen hat – aus dem Gefühl heraus, sich selbst kleiner machen zu müssen als den anderen.» Mit dieser Rolle, dem Clemens in Jakob Lass’ «Love Steaks», einem auf Stegreifspiel beruhenden Kinofilm über die Anziehung zwischen zwei Hotelmitarbeitern, wurde Rogowski 2013 bekannt.
2015 spielte er in «Victoria», Sebastian Schippers ohne Schnitt gedrehtem Berlin-Movie, in dem eine junge Spanierin in den Banküberfall einer Jungs-Clique verwickelt wird. Rogowskis Figur, Boxer, ist von einschüchternder Präsenz, ein brutal wirkender, feierlauniger Draufgänger mit sensiblen Untertönen. Auch diese Figur hat sich Franz Rogowski physisch erschlossen: «Bei Boxer in ‹Victoria› sind die Rippen hinten komplett auf gewesen, die bläst man auf, dann hat man so eine Art Panzerjacke an», beschreibt er seine körperliche Einstellung für die Rolle. «Kaum Rotation in der Hüfte, dann gibt das einen Muskeltonus, wie er im Fitnessstudio entsteht. Vor dem Dreh habe ich auch Kickboxen gemacht, um in diese Härte reinzukommen.» Die ist nicht sein alltäglicher Habitus: «Ich hatte Latein ab der 5. Klasse und habe zeitgenössischen Tanz gemacht, war also nicht so der krass gefährliche Typ.»
Die Passgenauigkeit von Körperhaltungen, in die das Publikum Emotionen hineinprojiziert, (er-)findet Franz Rogowski offenbar mühelos: «Ich spüre einfach, wie sich das gut anfühlt.» Sein Handwerk ist das eines Körperschauspielers, der umschalten kann zwischen Tiefe und Oberfläche, Empfindung und Effekt: «Vieles geht einfach über Rhythmus – die Form zu finden für einen Vorgang, der dann auch ein vermeintliches Seelenleben hat. Wenn ich sage, ‹Ich liebe dich›, fühle ich mich innerlich an wie ein Kühlschrank, aber ich versuche eine Kombination aus Gestik, Pause und Blickkontakt, die viel Raum für Gefühl erzeugen könnte.»
Von Erfolg zu Erfolg trägt ihn diese schauspielerische Präzision seit rund fünf Jahren. Franz Rogowski arbeitet mit jungen, angesagten deutschen Filmemachern wie Jakob Lass, Sebastian Schipper, Thomas Stuber oder Uisenma Borchu und ebenso mit lange im Business tätigen Regisseuren wie Christian Petzold, Angela Schanelec bis hin zu internationalen Schwergewichten wie Michael Haneke und Terrence Malick. Auf der Berlinale 2018 wurde er zu einem «European Shooting Star» gekürt und für seine Hauptrolle in Christian Petzolds «In den Gängen» mit einer Lola ausgezeichnet. Kürzlich erst erhielt er den mit 10 000 Euro dotierten «Ulrich-Wildgruber-Preis», den das Hamburger St. Pauli Theater an «eigenwillige Begabungen» vergibt, um sie zu -unterstützen, «geradlinig und kompromisslos ihren Weg fortzusetzen».
Geradlinig kann man Franz Rogowskis bisherigen Weg nur bedingt nennen; er selbst bezeichnet ihn als krumm: «Vier abgebrochene Studien und abgebrochene Schule, das ist meine Ausbildung.» Vom Abbrecher zum Aufsteiger? Genauso gut könnte man erzählen, dass ihn sein Weg aufgeladen hat mit den unterschiedlichsten Erfahrungen und dass es seine Vielseitigkeit ist, die den Erfolg bedingt.
Geboren 1986 in Freiburg, ist Franz Rogowski im Schwäbischen aufgewachsen. Nach dem in der 11. Klasse abgebrochenen Gymnasium ging er ein Jahr auf eine private anthroposophische Schule für Theaterpädagogik, danach, ebenfalls ein Jahr lang, auf die Scuola Dimitri im Tessin, Ausbildungsstätte für clowneske Kunst. Sein Interesse an einer Tanzausbildung weckte, neben Idolen wie den Choreografen Wim Vandekeybus oder Meg Stuart, ein Freund, der bei P.A.R.T.S. lernte, der Kaderschmiede von Anne Teresa De Keersmaeker: «Er war atemberaubend schön in seinen Bewegungen und hatte einen Zugang zu seinem Körper, den ich verstehen wollte. Das war so ein Sehnsuchtsort, wo ich auch hinwollte.» Also meldete sich Franz Rogowski zur Brüsseler Aufnahmeprüfung an: «Ich bin -megamotiviert in die Audition gegangen, hatte aber noch nie Ballett gehabt und stand dann ganz vorne an der Stange, wusste keinen einzigen Begriff und war komplett verkrampft. In den Klassen, wo es um Entspannung ging und um den transparenten Körper, war ich übermotiviert-angespannt. Damit hatte ich mich erfolgreich aus der Endrunde rauskatapultiert.» Wie ein begossener Pudel sei er nach Berlin zurückgekehrt. Eine Chance gab er dem Tanz dennoch, besuchte die Berliner Privatschule balance 1 und wurde im Jahr darauf bei SEAD in Salzburg angenommen, der «kleinen Schwester» von P.A.R.T.S.
Zusammenfinden wollten Rogowski und der Tanz aber nicht so recht: Auch SEAD verließ er nach einem Jahr. Verkopft und nerdig sei ihm der zeitgenössische Tanz in den Nuller-Jahren erschienen. «Da gab es ein Faible für parallele bis eingedrehte Füße, eingefallene Schultern, hängenden Brustkorb und dann so eine Art neutrale, asexuale Intellektualität – das galt als smart und cool.» Das hat zunächst auch ihn durchaus angesprochen, er ging zu Contact Jams und verbrachte Zeit auf der Tanz-Ranch Ponderosa im Berliner Umland, aber eine Fremdheit blieb. «Ich hab’s gar nicht so sehr als offen empfunden, sondern da gibt es eigentlich ein ziemlich krasses ästhetisches Bild, wie in der Mode auch.»
Der Körper streikte. Verletzungen plagten Franz Rogowski, Knie-probleme und chronische Rückenschmerzen, gegen die auch Osteo-pathie und Pilates nichts ausrichten konnten. Mit nur 22 Jahren wandte er dem Tanz den Rücken, um Fahrradkurier zu werden, damals «ein von Freiheit und Punk umhauchtes Traumziel für einen jungen Berliner». Doch der Zufall wollte es anders: Eine Freundin aus der Tanzszene erzählte ihm von einer Audition bei Constanza Macras. Franz Rogowski ging hin, fand Anklang – und stürzte sich in den folgenden sechs Jahren im Macras’schen Tanztheater von Hochhäusern. Mit gemischten Gefühlen: «Ich glaube, dass mein gesellschaftliches Ich immer ein bisschen gelitten hat unter dem antrainierten Tier, das sich zu Tode tanzt. Vielleicht hat mir da die Distanz gefehlt oder ein Vokabular jenseits der echten Verausgabung.» Wie ein Fußballer habe er in regelmäßigen Abständen mit Prellungen oder eingeklemmten Nerven zu tun gehabt. «Das war dann doch immer recht brachial.»
Spartenfluide wechselte Rogowski ins Theater, choreografierte für Nicolas Stemanns «Faust»-Projekt und tanzte bei Falk Richter. Ein Unbehagen blieb auch dort angesichts der «relativ grob skizzierten Energiezustände», die von den Theaterregisseuren abgefragt wurden: «In so einem großen Bollwerk von Falk Richter, wo multimedial alles zusammenkommt, bist du eine Funktion, wie eine Art autonome Nebelmaschine, die den Raum aufwertet.» Zu viel zweite Geige, fand Rogowski, bei dem der Wunsch wuchs, zur Abwechslung mal eine «Figur zu sein, die sich sprachlich entäußert». Erfüllt wurde sein Bestreben an den Münchner Kammerspielen, wo er von 2015 bis 2017 im Ensemble von Matthias Lilienthal fest engagiert war. Auch dort hat er die Freiheit, von der er fast so oft spricht wie von seinen «Sehnsuchtsorten», offenbar nicht erreicht: «Mir war dieser Graben, den man überbrücken muss im Theater, oft unangenehm.»
Im Film scheinen sich für Rogowski die losen Enden verknüpft zu haben: «Ich empfinde den Raum, den man mit dem Filmteam kreiert, meinem eigenen Raum als Mensch viel näher. Jetzt entwickle ich wirklich mit einem Regisseur gemeinsam eine Arbeit, bin keine Funktion, sondern ganz vorne mit dabei, dem Ganzen ein Gesicht zu geben.» Für ihn der richtige Schritt: «Ich empfinde es ein Stück weit als Befreiung, dass ich im Radius des Realistischen moduliere und körperliches Material kreiere im Konventionellen. Der Sehnsuchtsort im Tanz war es, diese Konvention zu sprengen und anderen Regelwerken, anderen Gesetzmäßigkeiten zu folgen.» Klingt doch auch ganz gut? Ausschließen möchte Franz Rogowski nicht, dass er auch mal zurückkehrt zu Tanz und Theater: «Der Sehnsuchtsort Performance bleibt – und auch der Sehnsuchtsort Theater.»
Das macht Hoffnung. Denn 2012 zeigte Franz Rogowski in den Berliner Uferstudios eine Solo-Choreografie für den Tänzer Jonas Christen, «Friction. Eine unkonkrete Dringlichkeit» – eindrücklich und präzise, von geerdeter Schwerelosigkeit. Danach war, so seine eigene Einschätzung, «der entscheidende Punkt gekommen, wo man über einen ersten Impuls hinaus lernt, sich selbst zu kuratieren und zu beschränken und eine Sprache zu finden». Aber Franz Rogowski hat es weitergetrieben zum Film. «Hätte ich mit einem Konzept-Choreografen wie Xavier Le Roy gearbeitet, wäre ich sicher kein Filmschauspieler geworden, dann würde ich jetzt eigene Formate entwickeln oder kuratieren.»
Hat er vielleicht nur die zu ihm passende Tanzsprache verfehlt? Urban Dance scheint ihm näher als Ballett oder Contemporary, so wie er die japanische Selfmade-Truppe Contact Gonzo lobt, die er in der Kampnagel-Produktion «The Greatest Show on Earth» entdeckte: «Für mich war das eine wunderschöne Mischung aus einem ganz feinen, wachen, respektvollen Miteinander von Contact Jams, kombiniert mit dem brutalen, archaischen Material der Martial Arts.» Körper in -realer (Verletzungs-)Gefahr, eine Art sakrales Opfer wie in den frühen Arbeiten von Marina Abramović: «In diesem Raum stellen sich mir die Haare auf, da werde ich wach, das Tier in mir wird wach. Ich suche das jeden Tag, auf dem Fahrrad, in der Kletterhalle. Das ist der Zustand, in dem ich mich am wohlsten fühle.» Franz Rogowski, ein wacher Geist in einem wachen Körper. Verausgabung, das Heilige, das Tierische? «Ja, da fällt der ganze Scheiß ab, die Konventionen, die Klamotten, das ist alles weg, da ist nur so ein dampfender Körper bei der Arbeit – das ist schon ein absoluter Sehnsuchtsort für mich.»
Von Elena Philipp
Im Februar wurde Angela Schanelecs deutsch-serbischer Kinofilm «Ich war zuhause, aber» im Wettbewerb der 69. Berlinale uraufgeführt. Franz Rogowski spielt darin die Figur des Lars. Ab 12. September im Kino