Rezensionen 12. April
Berlin: Molière «Der Menschenfeind»
Am 16., 20. April, 7., 15. Mai 2019 im Deutschen Theater
Das Liebesmodell dieses Monsieur Alceste ist schnell erklärt: Die Angebetete soll in eine Art Privatbesitz verwandelt werden, von der Welt weggesperrt in klösterliche Zweisamkeit zur Steigerung des eigenen männlichen Selbstwertgefühls. Die amouröse Vortrefflichkeit des akkurat graugekleideten, etwas steifen älteren Herrn, der sich selbst für unwiderstehlich hält, erschließt sich äußerlich nicht unbedingt. Und auch die inneren Werte halten auf den zweiten Blick kaum stand. Ulrich Matthes’ Alceste behauptet zwar im eitel komplimentbereiten, höfisch-höflichen Umfeld unbedingte Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit, nutzt diese tugendhaften Eigenschaften jedoch vor allem dazu, andere herunterzuputzen. Und unterstreicht damit nur, dass bei seinem Alceste die Eigenliebe jedes Gefühl für andere Menschen bei weitem übersteigt.
Regisseurin Anne Lenk entblättert im Berliner Deutschen Theater mit Molières «Menschenfeind» ein berückendes Männerpandämonium und blickt den Herren der Schöpfung tief in ihr selbstsüchtiges Herz. Auf schmaler Rampenbühne, umschlossen von gummibandflexiblen Wänden (Florian Lösche), zeigen die zahlreichen anwesenden Salonlöwen nur zwei Seiten derselben Medaille: ein Treibhaus der aufgeblasensten Eitelkeit mit beeindruckenden Männer-Orchideen wie Jeremy Mockridges schnöseligem Acaste, Elias Arens’ edel-verstrahlten Clitandre oder einem Oronte (Timo Weisschnur), der die banalsten selbstgedichteten Zeilen mit päpstlicher Unfehlbarkeit zelebrieren kann. Sie kontrastieren nur äußerlich Matthes’ knäcketrockenem Sugardaddy, denn sie alle wollen exklusiv geliebt werden, sind höllisch eifersüchtig auf jeden vermeintlichen Nebenbuhler und zu dessen Beseitigung für jede niederträchtige Salonintrige zu haben.
Auch und gerade der honorige Alceste sieht nicht das geringste Problem darin, die ihn so aufrichtig wie vergeblich liebende Eliante (Lisa Hrdina) als bloßen Eifersuchtsköder zu missbrauchen. Im Auge des Sturms der Eitelkeiten steht tiefentspannt das Zentrum der Begierden, Franziska Machens’ Celimène, die im übrigen kein großes Geheimnis aus sich macht: eine sympathisch unkapriziöse, unkomplizierte junge Frau, die sich nach dem Tod ihres Mannes freut, wieder unter Menschen zu kommen, etwas Unterhaltungsspaß sucht und natürlich gefallen will. Sie witzelt alle männlichen Zumutungen lange weg, sehr lange. Selbst die geballte Empörung der vermeintlich betrogenen Geliebten perlt rückstandslos an ihr ab, und von ihrem aufrichtig geliebten Alceste trennt sie sich zuletzt nur schweren Herzens, nachdem der eine weitere unmissverständliche Großprobe seiner Selbstherrlichkeit gegeben hat.
Das letzte Wort hat Manuel Harders lässiger Philinte. Der alte Freund von Alceste, der die schrillen Eigenheiten seiner Geschlechtsgenossen zunehmend mit kopfschüttelnder Nachsicht begleitet hat, will Alceste am Ende nicht ungetröstet gehen lassen. Wer seine Freunde liebt, kümmert sich um sie: der einzige Mann mit Zukunft.
Franz Wille