Rezensionen 12. April
Foto: Jörg Heieck
Kaiserslautern: Janáček «Jenůfa»
Am 12., 26. April, 24. Mai im Pfalztheater
Eine klaustrophobische Atmosphäre liegt über dem engen Hinterhof mit seinen verwaschenen Mauern und verwitterten Fensterläden. Regisseur Urs Häberli verlegt die Handlung von Janáčeks «Jenůfa» in ein beengtes Kleinstadtmilieu. Die Bewohner leben Tür an Tür; nichts von dem, was auf dem Hof vor sich geht, bleibt verborgen, stets ist ein Beobachter präsent, schier übermächtig die soziale Kontrolle. Hier eine Schwangerschaft zu verbergen, wie die traurige Titelheldin es verzweifelt versucht, grenzt ans Unmögliche. Das am Beginn des 19. Jahrhunderts angesiedelte Bühnenbild von Anna Kirschstein, das mit seinen liebevollen historischen Details auf den ersten Blick ins Pittoreske zu tendieren scheint, erweist sich bei näherem Hinsehen als unentrinnbares Gefängnis.
Durch die Verengung des Raumes, in dem Häberli die Protagonisten aufeinandertreffen lässt, sind die zwischen ihnen bestehenden Konflikte gefährlich zugespitzt. Auch die unheilvollen Seelenlagen, die GMD Uwe Sandner im scharf konturiert spielenden Orchester heraufbeschwört, drohen die kleinbürgerliche Fassade zu sprengen. Angetrieben von der wilden expressiven Kraft, die aus dem Orchestergraben drängt, gewinnt die Bühnenhandlung enorme Spannung. Mit akribischer Genauigkeit richtet die Regie den Fokus auf die psychischen Konflikte. Die meisten wurzeln tief in der Vergangenheit. Wie mit dem Skalpell legt Häberli die unverheilten Wunden und Nervenbahnen frei.
Trotz der seelischen Torturen, die Jenůfa durchleidet, bewahrt Ilona Krzywicka, die in der Titelpartie bis an die emotionalen Grenzen geht, stimmlich mädchenhafte Klarheit. Über alle Lagen hinweg wirkt ihr strahlkräftig fokussierter Sopran vital und unangestrengt. Komplex angelegt ist auch die Rolle des Frauenhelden Stewa. Daniel Kim, stimmlich souverän, spielt ihn mit grandioser Überheblichkeit. Doch hinter der glatten Oberfläche seiner Großspurigkeit verbergen sich verdrängte Ängste, die ihm massiv zusetzen. Die Partie seines Stiefbruders Laca gestaltet Heiko Börner mit heldisch-tenoraler Durchsetzungskraft, darstellerisch überaus vielschichtig: ein grober Klotz mit weichem Kern, komplexbeladen, aggressiv und leidenschaftlich. Mit einem vokalen Spektrum, das von gellenden Höhen bis in die dunkelsten Brustregister reicht, charakterisiert Sabine Hogrefe die Küsterin. Übergriffig in ihrer Fürsorge, wird sie letztlich von den Traumata ihrer eigenen Vergangenheit zum Kindsmord getrieben. Der düstere Schatten, den der Stammbaum der Familie Buryja auf die Nachkommen wirft, scheint in Häberlis Inszenierung übermächtig.
Dennoch gestattet der Regisseur ein vorsichtiges Happy End. Noch bevor das Eis die Kinderleiche freigibt, sprießen die ersten grünen Triebe aus den Geranienkästen. Fernab von Kirche, Festtagsgeläut und elterlichem Segen reichen sich Jenůfa und Laca über den wuchtigen Familientisch hinweg die Hände – als stünden sie vor dem Altar.
Silvia Adler