Frau Grigorian, in zwei Stunden werden Sie auf der Bühne der Oper Frankfurt als Iolanta auftreten. Vor zwei Tagen haben Sie in Stockholm Madama Butterfly gesungen, gestern sind Sie für ein Konzert mit Opernarien nach Genf geflogen. Und jetzt geben Sie noch ein Interview. Sind Sie verrückt?
(lacht) Nein, Sie müssen sich keine Sorgen machen. Und die Iolanta ist ja zum Glück, was die Anforderungen betrifft, nicht vergleichbar mit der Butterfly. Das Einzige, was mich wirklich ermüdet, ist Reden. Aber ich will es versuchen.
Strauss im Glück
Shootingstar seit Salzburg: Asmik Grigorian
Ihr Debüt haben Sie 2000 in der georgischen Schwarzmeerstadt Batumi gegeben, als Desdemona. Was für ein kecker Einstieg!
(lacht) O ja, das kann man wohl sagen. Doch damit verbindet sich auch eine der schönsten Geschichten meines Lebens. Ich war Studentin, da kam eines Tages Badri Maissuradze zu mir, der wunderbare georgische Tenor. Er fragte mich: «Asmik, singst du Desdemona? Und ich antwortete ihm wahrheitsgemäß: «Ich singe gerade keine einzige Rolle. Ich studiere Rollen.» Ihn ließ das völlig kalt: «In drei Tagen singst du Desdemona in Batumi.» Ich stand vor einem kleinen Problem: Maissuradze war ein Freund der Familie, ich konnte nicht ablehnen. Zum Glück lerne ich sehr schnell. Also studierte ich die Partie binnen drei Tagen, allerdings im Glauben, es sei eine szenische Aufführung. Ich flog dann über Moskau, wo ich Stunde um Stunde in einem Café am Flughafen saß. Als ich einmal nach draußen ging, um frische Luft zu schnappen, legte ich meinen Klavierauszug auf einen Stuhl – und was sah ich, als ich zurückkam? Der Klavierauszug war weg! Und mir fehlten noch drei Seiten, die ich auswendig lernen musste (lacht). Also rannte ich los und fand heraus, dass die Kellnerin den Klavierauszug in den Mülleimer geworfen hatte. Ich erhielt ihn zurück, allerdings mit Salat und Fett garniert, und lernte die restlichen drei Seiten. Als ich schließlich nach Batumi kam, erfuhr ich, dass der «Otello» konzertant gegeben werden würde. Aber ich hatte kein Kleid dabei. Und, schlimmer noch, ich hatte diesen Ausflug vor meinem Vater verheimlicht. Allein, mir blieb keine andere Wahl: Ich rief meinen Vater an, der auch vor Ort war, und sagte: «Papa, ich bin in Batumi und singe morgen Abend Desdemona.»
Und was war sein Kommentar?
Er sagte nur: «Spinnst du?» (lacht) Aber es nützte nichts, ich brauchte trotzdem ein Kleid.
Und er brachte es Ihnen natürlich.
Ja, klar!
Kam die Desdemona nicht ein bisschen früh?
Ach, das ging schon, es ist ja eine überwiegend lyrische Partie. Weit gefährlicher war die Rolle, mit der ich 2004 am Opernhaus von Vilnius debütierte: die Donna Anna in Mozarts «Don Giovanni». Und gleich danach sang ich die Violetta Valéry.
Ganz schön mutig!
Ja. Aber die Donna Anna war weit gewagter als die Violetta. Generell verstehe ich nicht, dass, auch in Litauen, die Gesangspädagogen der Meinung sind, man solle zu Beginn seiner Karriere Mozart singen. Ich denke, dass es falsch ist, insbesondere für größere Stimmen. Mozart sollte man erst singen, wenn man ihn sehr gut kennt. Vorher ist es geradezu fahrlässig, denn man kann seine Stimme ruinieren. Mozarts Musik provoziert all die falschen Dinge, die man als Student macht, egal, ob als Donna Anna, Contessa oder Donna Elvira.
Was ist Ihrer Meinung nach günstig für den Beginn?
Das kann man so pauschal nicht sagen. Es liegt am Typus der Stimme. Für meinen Typ würde ich immer sagen: Belcanto ist gut. Sogar eine Arie wie «Casta Diva» ist besser als Mozart.
Wissen Sie, welche Rollen gut für Sie sind?
Ja. Aber ich frage immer meinen Lehrer, den schwedischen Tenor Karl Magnus Fredriksson. Ich habe zum Glück eine Stimme, die für viele unterschiedliche Frauentypen geeignet ist. Sogar bei größeren Partien habe ich es stets vermieden, meine Stimme künstlich größer zu machen.
Im Mai geben Sie Ihr Debüt an der Mailänder Scala, als Marietta in Korngolds «Toter Stadt». Die Partie verlangt einiges Stehvermögen ...
Ja, aber es ist eine überwiegend lyrische Partie mit Spinto-Anteilen. Außerdem verbinde ich mit Mailand eine der schönsten Erinnerungen. Es ist der Ort, an dem sich, vor vielen Jahren, meine Eltern kennengelernt haben, an der Scala-Akademie. Und eines weiß ich schon jetzt: Das Debüt wird das Sentimentalste sein, was ich je gemacht habe. Mein Vater ist vor zwei Jahren gestorben, da war ich schwanger. Und da wurde mir sofort klar: Ich will auf die Bühnen, auf denen er gestanden hat. Ich will an ihn erinnern.
Kann er Sie hören, dort oben auf der Himmelswiese?
Ich bin sicher, er singt in Gedanken mit, wenn ich die Bühne betrete (lacht). Dadurch habe ich die doppelte Energie.
Was ist der Unterschied zwischen einer Vater-Tochter-Beziehung und einer Mutter-Tochter-Beziehung?
Mütter sind das Leben. Väter die Liebe.
Das Gespräch führte Jürgen Otten