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Rezensionen #4

Freiburg, München, auf Tour

Foto: Theater Freiburg

Freiburg: Weill «Love Life»

Wieder am 28., 31. Januar, 9., 11., 16., 22. Februar

«Freudlos, ein allgemeines Jammern, das sich als Unterhaltung gibt», befand der Kritiker Brooks Atkinson dem Kurt-Weill-Biografen Ronald Sanders zufolge über die Uraufführung des Vaudeville «Love Life» 1948 in New York. Tatsächlich verschwand das Stück, eine Mischung aus Musical und Nummernrevue, nach 252 Vorstellungen in der Versenkung. Ein Streik der Tontechniker verhinderte angeblich eine Aufnahme. Rüdiger Bering ist der Meinung, dass «Love Life» mehr verdient hätte, die Geschichte (die eigentlich keine richtige ist) um das Eheleben von Susan und Samuel Cooper, ausgeheckt von Alan Jay Lerner, dem Librettisten von «My Fair Lady», und Weill. Womöglich war sie mit ihren sozialkritischen Anspielungen der Zeit einfach zu weit voraus. Und so hat der neue Chefdramaturg am Theater Freiburg seinem Haus eine deutschsprachige Erstaufführung beschert – einen «neuen» Weill nach fast 70 Jahren.

Berings deutsche Fassung ist in der Tat gelungen. Da holpert nichts, da regieren Ironie, Beziehungsreichtum und Anspielungen (etwa auf «My Fair Lady»). Gute Voraussetzungen für einen temporeichen, unterhaltsamen Theaterabend. Regisseur Joan Anton Rechi nimmt die Steilvorlage auf. Er lässt das Paar auf der wirkungsvoll eingesetzten Drehbühne (Alfons Flores), wie im Originaltext vorgesehen, in einzelnen Szenen durch die amerikanische Geschichte streifen: von der Western- über die Gründer- bis in die Nachkriegszeit. Verbindendes Element ist die erfolgreichste genuin amerikanische Kunstform, das Kino à la Hollywood. Über 150 Kostüme (Mercé Paloma) und Videosequenzen auf dem Rundhorizont fordern zum heiteren Filmeraten auf: von «Vom Winde verweht», den «Marx Brothers» bis zu «Frankenstein», «Alice im Wunderland» und «Casablanca», um nur ein paar zu nennen. Das Ergebnis ist ein szenisches Perpetuum mobile, zumal der überaus wirkungsvoll agierende, homogene Chor (Norbert Kleinschmidt) von Emma-Louise Jordan und Graham Smith (Soli) in bester Broadway-Manier auf Trab gehalten wird.

Gleichwohl müssen wir einräumen: Die Kritiker hatten 1948 nicht ganz Unrecht. «Love Life» ist ein Pasticcio, eine Nummernshow, der manchmal etwas die Puste ausgeht. Susan und Sam, von Rebecca Jo Loeb und David Arnsperger bewundernswert gespielt, gesungen und «gewirbelt», durchleben in Einzelszenen Freud und Leid der durch Trauschein besiegelten Zweisamkeit: Sie will das dritte Kind – er nicht; sie ist bei der Frauenbewegung – er ist vom Kapitalismusrausch besessen. Als er sie verlässt, werden in einer «Minstrel Show» in verschiedenen, mehr oder weniger zusammenhängenden Nummern das Für und Wider der Ehe, Illusion und Desillusion, durchdekliniert.

Weill setzt all das mit einer musikalischen Routine und Virtuosität um, von der man sich bei heutigen Musicalautoren nur ein wenig wünschte. Da gibt es großartige Ensembles, richtigen Blues mit ein bisschen «Mahagonny»-Flair, auch manche sängerische Hürde, wie die Koloraturen, die Samantha Gaul mit vokaler Grandezza realisiert. Das macht Spaß, reißt einen mitunter geradezu vom Stuhl. Nur eines fehlt: der letzte Kick, der Ohrwurm, die großen Hits. Manches glaubt man schon von anderswo zu kennen: Der Walzer «Mother’s Getting Nervous» zum Beispiel klingt fast wie das nur zwei Monate später uraufgeführte «Brush Up Your Shakespeare» aus Cole Porters «Kiss Me, Kate». Womit wir hörend begreifen können, wie eng Weill am Puls seiner Zeit war.

Daniel Carter dirigiert die Premiere (für den erkrankten James Holmes) mit Gespür für den stilistischen Reichtum dieser Broadway-Musik. Und das Philharmonische Orchester setzt die erst 2017 in der «New Critical Edition» herausgegebene Partitur leidenschaftlich um – die Klangbalance ist perfekt. Was auch für das gesamte Ensemble auf der Bühne gilt: «Love Life» hat seine Chance auf ein second life bekommen.«

Alexander Dick

http://www.theater.freiburg.de/de_DE/spielplan/love-life.15109980

München: Shakespeare «Richard III.»

Am Residenztheater, 30. und 31. Januar & 25. und 26. Februar

Gar nicht so leicht, heute einen «Richard III» auf die Bühne zu bringen, bei der Konkurrenz an Trumps, Kims und Erdogans, die es nur darauf anzulegen scheinen, sich als Shakespeare-Schurken zu profilieren. Michael Thalheimer und sein Protagonist Norman Hacker hegten diesen Plan allerdings schon lange, bevor sich die politische Weltlage derart elisabethanisch zuspitzte, und entsprechend überhistorisch ist auch der Zugriff der Inszenierung.

Es sind finstere Zeiten, daran lassen Thalheimer und sein Bühnenbildner Olaf Altmann keinen Zweifel. Kein Licht, höchstens eine Minidosis diffuse Dämmerung injiziert der Lightdesigner Tobias Löffler anfangs in den klaustrophobisch schwarz verschalten Bühnenturm und zeichnet damit eine kaum wahrnehmbare Schraffur an die Seitenwand. Der türenlose Tower zieht den Blick nach oben – irgendwas muss doch noch da sein in dieser Leere, durch die von Beginn an unheilvoll Bert Wredes dunkler Elektrosound kriecht. Doch so etwas wie ein goldener Hoffnungsstreif wird sich an diesem Abend erst zeigen, wenn nach gut zweieinhalb Stunden zielstrebigen Gemetzels endlich auch der Titelheld blutig verendet ist. 

Davor sind die Positionen höchstens kalt ausgeleuchtet, jeder hat seinen Platz in einem mörderischen Räderwerk, das Richard – in bester «Game of Thrones»-Manier – auch auf der Höhe seines Erfolgs nie zur Ruhe kommen lässt, bis es ihn am Ende selbst auffrisst. Geschlachtet wird dabei immer nach derselben Methode mit Griff von hinten, entweder mit einem glatten Schnitt durch die Kehle, der das Blut in hohem Bogen spritzen lässt, oder ebenfalls ästhetisch ausgefeilt mit einer blutroten Plastiktüte über dem Kopf des Opfers. Minutenlanges Gezappel und Geröchel sind in beiden Varianten die Folge, ein sehr körperlicher Akt, wo hier schon sonst keine Liebe stattfindet. 

«Richard III» destilliert, vergleichbar mit «Macbeth» und anders als die meisten von Shakespeares psychologisch komplexer ausgeleuchteten Menschheitsdramen, das Böse zum reinen Stil- und Spielprinzip und kommt damit Thalheimers streng auf den Kernkonflikt fokussierender Reduktionsregie durchaus entgegen. Pures Machtstreben setzt kein Ideal, sondern totale Rücksichtslosigkeit und die wiederum totale Isolation voraus. Das wird gleich anfangs klargestellt, wenn Thalheimer und sein Dramaturg Sebastian Huber nicht mit dem berühmten Monolog vom «Winter unsers Mißvergnügens», sondern mit dem chronologisch vorausgehenden Schlussmord aus «König Heinrich VI.» einsetzen. «Ich bin ich selbst allein» (I am myself alone), verkündet Richard da über der Leiche des von ihm gemeuchelten Königs und fügt in Thomas Braschs hier verwendeter, schneidend schnörkelloser Übersetzung hinzu: «Ich fühl mich mickrig, wenn ich nicht der Höchste bin.» Damit ist zunächst einmal alles gesagt, was zum Verständnis der Figur nötig ist (die genauen Verwandtschaftsverhältnisse der Häuser Lancaster und York kann man notfalls im schwarz auf dunkelgrau gedruckten Programmheft rekapitulieren), und dem schaurigen Vergnügen an der Superschurkenshow, die Michaela Barths Kostüme in eine historisch nicht genau zu ortende, aber jedenfalls archaische Vergangenheit rücken, steht nichts mehr im Wege.

Anders als mancher Vorgänger aus jüngerer Zeit setzt Norman Hacker allerdings nicht auf den offensiv erotischen Flirt mit dem Publikum, macht aus seinem Richard keinen charming Bad Boy oder charismatischen Trickster, sondern beschwört das amoralische Egomonster in ungeschönter Reinkultur. Der Buckel, sonst gern das psychologische Motiv für Richards Skrupellosigkeit, ist bei ihm ebenso perfide zu diplomatischen Zwecken vorgetäuscht wie die Loyalität, mit der er seine Gefolgsleute zu Mordgesellen macht. Hacker wirbt nicht um Verständnis für seine Figur, sondern stellt sie als selbstbewusstes Scheusal ins Zentrum, großmäulig krächzend und mit viel physischer Fantasie zur Hässlichkeit. 

Beinahe choreografisch aufgebaut ist die Verführungsszene der Lady Anne, in der sich Anna Drexler, ihrerseits ihre Witwentrauer grimassierend zur Schau stellend, nur zu bereitwillig auf die Werbung ihres gekrümmten Gegenübers einlässt, das gereichte Schwert an seiner nackten Brust durchbiegt und gleich darauf gierig nach dem hingehaltenen Trauring schnappt. Mehr Stolz und Hass zeigen da Hanna Scheibe als Königin Elisabeth, die als Witwe Edwards IV. um einen Platz zum Überleben kämpft, und Sibylle Canonica als Ex-Queen Margaret, wenn sie mit Schwertern als Krücken und Flüche spuckend die schwarz raschelnde Styroporstreu durchpflügt.

Akribisch verfolgt Thalheimer die wechselnden Konstellationen der Macht bis in die Körperspannung der Schauspieler hinein, lässt Thomas Schmauser als Buckingham seinen Herrn anfangs geschmeidig umtänzeln und für ihn Intrigen spinnen, Marcel Heuperman als Catesby fröhlich sein Henkershandwerk verrichten, bis Richard sie nach und nach – im Fall von Buckingham mit einem langen spöttischen Kuss – ins Abseits schickt, wie schon zuvor die lange Reihe seiner königlichen Rivalen. Nur seine Mutter, die Herzogin von York (herb und hart gespielt von Charlotte Schwab), unter deren ausgestreckte Hand sich Richard einmal wie schutzsuchend schmiegt, weist ihn ihrerseits ab. 

Als Zuschauer kann man sich entscheiden, ob man diesen schwarzgründig-klaustrophischen Alptraum bis zum letzten Zug mitgehen oder die lange Kette der zappelnden Splattermorde auch mal komisch finden mag. Wenn man sich darauf einlässt, entfaltet der Abend in seiner dichten Komposition von Raumwirkung, Licht, Klang und genau gesetzter Gestik einen suggestiven Rahmen für die shakespearesche Sprachgewalt, die das Geifern gegenwärtiger Diktatoren im Hintergrund mitschwingen lässt.

Silvia Stammen

https://www.residenztheater.de/inszenierung/richard-iii

Auf Tour: Rami Be'er «Horses in the Sky»

Worms, 26., 27. Januar; Fulda, Schlosstheater 31. Januar; Schweinfurth, Theater 2., 3. Februar; Opernhaus Bonn, 7. Februar

Tanz bringt Stabilität. Sogar in solch unruhigen Gefilden wie Israel, wo Politik und Kulturpolitik mitunter Kapriolen schlagen. Die Kibbutz Contemporary Dance Company (KCDC) hat dagegen erst ihren zweiten künstlerischen Leiter, seit sie 1973 von Yehudit Arnon (1926 – 2013) gegründet wurde. 1996 übergab die Auschwitz-Überlebende die Leitung der KCDC an Rami Be’er, der seit 1980 zu den Stützen der Company gehört. 

Wenn Be’er und die KCDC nun mit «Horses in the Sky» auf Tournee gehen, schließt sich so mancher Kreis. Das Stück liefert eine Art Kondensat israelischer Tanz-Power, von Ohad Naharins Gaga-Tanz über Hofesh Shechters geballte Energie zu den strammen Unisoni von Sharon Eyal. Überraschen kann das kaum. Ohad Naharin hatte, genau wie Be’er, Yehudit Arnon als erste professionelle Tanzlehrerin. Und Shechter begann, genau wie Eyal, in der Batsheva Dance Company, die Naharin noch bis Herbst 2018 leitet. Warum also sollte Be’er nun radikal anderes zeigen?  

Genau wie Batsheva ist auch die KCDC international besetzt, u. a. mit zwei Interpreten aus Frankreich und drei aus Südkorea. Diese Ensemble-mischung gibt «Horses in the Sky» eine innere Dynamik, die dem Stück enorm hilft, sich nicht in seiner eigenen Agitation zu verrennen oder vom Schwall der Elektro-Klänge (von Björk bis Fuck Buttons) erdrückt zu werden. Was Be’er von Eyal oder Shechter unterscheidet, ist, dass er seine 18 Tänzer auch in grotesk verzerrten Figuren inszeniert, die an Werke von Egon Schiele oder Francis Bacon erinnern. Gewalt richtet man hier schon mal gegen sich selbst, knallt sich den eigenen Ellenbogen in den Körper. Rhythmus entsteht aus einer Dramaturgie des Wechsels zwischen kraftvollen, chorischen Bildern und Szenen voller Leichtigkeit.

«Horses in the Sky» ist durchaus als Manifest zu verstehen. Der Titel ist einem Lied der Post-Rock-Band Thee Silver Mt. Zion Memorial Orchestra aus Montréal entnommen. Der Welt voller Gewalt und Lügen («And violence brings more violence / and liars bring more lies») sowie Krieg («And monsters build mean robots / launching rockets into the air») stellen sie die Hoffnung auf Trost und Poesie entgegen: «Baby’s gonna fetch ya / Horses in the sky». Das ist so poetisch wie die beige-weißen Hemden und Höschen als Verheißung von Unschuld, Leichtigkeit und Geborgenheit (Rami Be’er zeichnet persönlich für die Kostüme verantwortlich). So zieht das Stück seine Kraft ganz Israel-typisch aus der Gemeinschaft, die alles zu überstehen hilft – und das selbst dann, wenn alle mit erhobenen Händen die Wand entlangschleichen müssen. Keine Frage: Tanz macht stabil!

Thomas Hahn

http://www.kcdc.co.il/en/show/horses-in-the-sky/?date=01-24-2018