Medien-Tipps Januar #3
«The Dot and the Line», «Wagner»
Video: The Dot and the Line
Die Essenz einer guten Zeichnung – und vielleicht auch eines guten Gedankens – ist, einen Gegenstand auf die einfachste mögliche Form zu reduzieren und zugleich seine Substanz und seinen Sinn zu erhalten. Sagt Chuck Jones (1912-2002), vielfach preisgekrönter Zeichner und Regisseur von zahllosen Zeichentrickfilmen. Wie das geht, sehen wir in einem abstrakten Animationsfilm, der ihm 1965 einen seiner drei Oscars gebracht hat: «The Dot and the Line». Ein ungewöhnlicher Oscar und eine ungewöhnliche Arbeit für Jones, zu dessen Schöpfungen und Geschöpfen die lustigsten und ambitioniertesten Cartoon-Filme und -Charaktere gehören: Tom und Jerry in den 60er Jahren und vorher, in den 30ern und 40ern, Bugs Bunny, Daffy Duck, Wile E. Coyote, der Road Runner.
Die Buchvorlage für «The Dot and the Line» stammt von Norton Juster (geb. 1929), amerikanischer Architekt und erfolgreicher Kinderbuchautor. Mit geometrischen Grundformen erzählt er eine emotionale Geschichte über Selbstvertrauen und Entwicklung – und nicht zuletzt über Mann und Frau. Im Kurzfilm sehen wir dann, anders als in den rein abstrakten Animationsfilmen eines Walter Ruttmann oder Oskar Fischinger aus den 1920er-Jahren, eine reduzierte klassische Moderne, deren Stil und Farbigkeit hier mit der Meisterschaft des zügigen und pointierten Geschichtenerzählens früher Cartoons zusammentrifft.
Marina Dafova
Johohoe! Traft ihr das Schiff im Meere an
CD: Nina Stemme «Wagner»
Jemand hat Wagner-Partien einmal mit einem Rolls-Royce verglichen: Mit dem Rolls schmücke man seine Garage, mit dem Bayreuther Meister gerne die Biografie. Selbst Heroen des Belcanto und Verismo wie Caruso oder die (junge) Callas suchten Ruhm und Ehre auf Wagner’schen Schlachtfeldern. Nina Stemme hat den Rolls längst virtuell in der Garage stehen: Seit ihrem sensationellen Debüt als Isolde 2003 in Glyndebourne gilt sie als eine der ersten Adressen im hochdramatischen Wagner-Bereich. Eine Live-CD dokumentiert die Entwicklung anhand von Auftritten an der Wiener Staatsoper – von Senta 2003 über Sieglinde in der «Walküre» 2007 und Brünnhilde in «Siegfried» 2008 bis zu Isolde 2013. Wobei die Erinnerung (wir haben diese Auftritte allesamt im Haus erlebt) durch die Eindrücke beim Hören der Silberscheibe womöglich noch übertroffen wird. So produziert die Stemme pars pro toto als Brünnhilde genau jenen speziellen Belcanto, den Wagner von seinen Sympathieträgern forderte, formuliert hinreißend Brünnhildes Wechselbad der Gefühle. Als Isolde ist ihr Zugriff vielleicht ein paar Schattierungen weniger jungmädchenhaft-verletzlich als in Glyndebourne, doch in der Bandbreite der Gefühle reicher, eruptiver, strahlender, aus musikalischer Intensität geboren.
Gerhard Persché
Nina Stemme: Wagner. Szenen aus «Der fliegende Holländer», «Die Walküre», «Siegfried», «Tristan und Isolde»; Nina Stemme, Janina Baechle, Johan Botha, Stephen Gould, Franz Hawlata, Torsten Kerl, Falk Struckmann u. a. Chor und Orchester der Wiener Staatsoper, Seiji Ozawa, Franz Welser-Möst
Orfeo 4 011790 937120 (CD); AD: 2003-2013