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«Marx in London»

Eine neue Oper von Jonathan Dove

Im Operabase-Ranking der meistgespielten lebenden Komponisten belegt Jonathan Dove inzwischen Platz drei – gleich nach Philip Glass und Jake Heggie, noch vor John Adams. Am 9. Dezember kommt in Bonn die 13. Oper des produktiven Briten heraus: «Marx in London»

Herr Dove, was ist so komisch an Karl Marx?
Der Kontrast zwischen seinem monumentalen Werk und einem chaotischen Privatleben. Marx’ ökonomische Theorien haben die Welt verändert, doch er selbst war unfähig hauszuhalten. Er schrieb über Geld, hatte selber aber selten welches. Und während er sich in der Theorie für die Rechte der Arbeiter einsetzte, wünschte er sich selbst ein bürgerliches Leben.

In Ihrem Stück geht es um einen «Tag im Leben der Familie Marx». Eine folle journée à la Beaumarchais, eine zeitgenössische Buffa?
Das Stück spielt im Jahr 1871, der erste Band von «Das Kapital» ist schon erschienen. Marx hat wieder mal die Gerichtsvollzieher im Haus, im Chaos stellt er Dienstmädchen Helene nach. Als seine Frau hereinplatzt, verdrückt er sich mit dem Familiensilber zur Pfandleihe. Liquidität bringt das nicht: Man hält ihn für einen Dieb. Später schläft er bei der Arbeit in der British Library ein, und während er vom kommunistischen Paradies träumt, klaut man ihm das Silber ... Um das Timing zu perfektionieren, haben wir die Abläufe mit Schachfiguren in einem alten Puppenhaus nachgestellt! Wie bei Rossini oder Mozart steckt das Stück voll turbulenter Verwicklungen, Verkleidungen und Versteckspiele. Also, ja: ein Wahnsinnstag. Damit endet die Parallele zu den «Figaro»-Stücken aber auch schon.

In Ihrer Oper «Flight» geht oft gerade der musikalische Umgang mit der Sprache aufs Zwerchfell. War für «Marx» – die Stückidee stammt von Regisseur Jürgen R. Weber – mal eine deutsche Fassung angedacht?
Wir hatten sogar überlegt, das Stück zweisprachig zu schreiben – für den Marx’schen Haushalt wär’s realistisch gewesen. Aber für musikalische Wortspiele muss man die textlichen Feinheiten beherrschen, mein Schuldeutsch reicht da nicht aus. Ich brauche eine englische Vorlage, um spritzig zu schreiben. Charles Hart hat mit pfiffigen Reimen ganze Arbeit geleistet. Jetzt gehen Ton und Text so entschieden Hand in Hand, dass auch eine Rückübersetzung nicht funktioniert, diese Idee haben wir gleich beim ersten Durchspielen verworfen.

Ein beliebtes Mittel kompositorischen Humors sind Parodien musikalischer Gemeinplätze.
Es gibt ein Trinklied, das Tafelsilber hat ein Leitmotiv. Mit traditionellen Methoden arbeite ich ja schon immer. Aber an keiner Stelle mache ich mich über andere Musik lustig.

Ihre Stücke bewegen sich meist in einem tonalen Gefüge, gefärbt durch charakteristische Modi. Wie klingt «Marx in London»?
Es gibt leichtfüßige Operettenmomente, beim Traum vom kommunistischen Paradies aber durchaus auch eine Art Grandeur. Für Marx verwende ich eine Skala mit erhöhter Quarte und erniedrigter Sexte, die wegen der prominenten Tritoni sehr kantig klingen kann, dank der Septakkorde aber auch verführerisches Potenzial hat. Jenny, die guten Grund zu Wut und Trauer hat, verfügt über viele Dur-Moll-Farben. Durch einen koloraturreichen Hang zur Dramatik zeichnet sich Tochter Tussi aus: zum Beispiel, wenn sie den Klavierlehrer für einen Spion hält. Tatsächlich ist es bloß Marx’ unehelicher Sohn, der sich ins Haus mogeln will. Freddy hat eine unkompliziert-pentatonische Musik. Und Friedrich Engels, der der Familie immer wieder aushilft, kommt in optimistischem C-Dur daher. Im Graben das volle Opernorchester: angereichert um Schreibmaschine (es kommt nämlich wirklich ein Spion vor) und Harmonium, für die Pfandleihe.

Ausnahmen bestätigen die Regel, aber tendenziell ist zeitgenössische Oper nicht zum Lachen. Wieso?
Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten sich die musikalischen Mittel in eine andere Richtung. Ich glaube, viele Komponisten fühlten (und fühlen) sich vom Gewicht, der Ernsthaftigkeit, den wagnerianischen Dimensionen angezogen – und überließen das Komische dem Musical. Doch für die Zukunft der Oper ist es wichtig, dass sie Spaß machen darf. Und wenn ich an Stücke wie Gerald Barrys «Alice’s Adventures Under Ground» denke, glaube ich: Es könnte eine Trendwende im Gange sein.

Das Gespräch führte Wiebke Roloff Halsey

Uraufführung an der Oper Bonn am 9. Dezember