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Montserrat Caballé

Abschied von der letzten Primadonna alter Schule

Es ist nicht zuletzt ihr Schalk, der Montserrat Caballé unvergesslich macht. Als sie einmal in Köln die Marschallin im «Rosenkavalier» sang, galt deren am Ende des ersten Akts angekündigter Besuch beim Onkel Greifenklau nicht diesem, sondern einem Oheim Drachenfels (für Nicht-Rheinländer: so nennt sich ein beliebter Ausflugsort am Rhein nahe Bonn). Und als Salome behauptete sie schon mal, Jochanaans Hund geküsst zu haben.

Solche Anekdoten an den Anfang eines Nachrufs zu stellen, mag seltsam erscheinen. Doch hätte es die Caballé ganz sicher nicht als Pietätlosigkeit betrachtet. Ihr Humor – begleitet von heftigem Kichern, das den Körper in konvulsivische Zuckungen versetzte – war ja legendär. Zugleich machte er sie so nahbar wie sonst kaum eine Diva der Opernwelt. Ihrer unprimadonnenhaften Herzlichkeit wegen wurde sie vom Publikum geliebt – und auch von den Sängerkollegen, was gerade auf diesem Terrain entschiedener Eitelkeit und Eifersucht fast wie ein Wunder erscheint.

In Rom hatte mal jemand «Stupenda» an ihre Garderobentüre geschrieben, eilig, in wackeligen, schüchternen Großbuchstaben, so, als wolle er sich bei dieser Geste herzlicher Verehrung nicht ertappen lassen. Es war 1986 anlässlich ihres Auftritts in der Titelpartie von Spontinis «Agnese di Hohenstauffen» am dortigen Teatro dell’Opera. Wobei die Caballé sich die Gelegenheit nicht entgehen ließ, den Römern in Interviews mit hämischer Schadenfreude unter die Nase zu reiben, was man ihr in den 1950er-Jahren bei einem Vorsingen an der römischen Oper beschieden hatte: Sie solle nach Hause gehen, kochen und Kinder kriegen.

Abgelehnt wurde sie zunächst auch an anderen Häusern, fehlte ihr doch das gewisse Etwas, das man heute «Network» nennt und das mit «Sage mir nicht, was du kannst, sondern wen du kennst» treffend umschrieben ist. Geboren am 12. April 1933 in Barcelona als María de Montserrat Bibiana Concepción Caballé i Folch stammte sie aus einer ursprünglich wohlhabenden Familie, die im spanischen Bürgerkrieg alles verlor. Die junge «Montsi» studierte am Conservatori Liceu ihrer Heimatstadt (bei Eugenia Kemeny und Conchita Badia, wobei vor allem letztere ihr die exzellente Atemtechnik beibrachte), dies mit generöser Hilfe von Mäzenen, eine Geste, die sie nie vergaß und später als Arrivierte selbst an manche junge Sänger weitergab, die danach zu Größen am Opernhimmel wurden. Etwa José Carreras, den sie entdeckte und förderte.

1956 erhielt die 23-Jährige am Basler Theater ihr erstes Engagement, sang dort unter anderem die Mimì und dann als Zweitbesetzung für Inge Borkh bereits die Salome. In der Folge reüssierte sie vor allem als Interpretin von Mozart- und Strauss-Partien, aber auch mit Wagners Heroinen im jugendlichen Heldenfach. Ihre untadelige Technik half ihr dabei über manche Klippen. In jenen Jahren hörte man sie vor allem an Stadttheatern im deutschsprachigen Raum – nach Basel etwa in Bremen und in Saarbrücken. Und auch zu Hause in Barcelona, als Arabella. Ihr Debüt 1959 als Donna Elvira an der Wiener Staatsoper bescherte der Sängerin bereits internationale Aufmerksamkeit; 1965 sang sie in Glyndebourne Marschallin und «Figaro»-Gräfin.

Zurück zur Stupenda. Joan Sutherland, die normalerweise mit diesem Epitheton versehen wird und zu deren Norma Montserrat Caballé noch 1986 auf Platte die Adalgisa sang (bei Decca) hätte sicher nichts dagegen gehabt, das Attribut mit der katalanischen Diva zu teilen. Stupend war beispielsweise die Universalität der Caballé. Man wird ihrer Kunst nicht völlig gerecht, wenn man sie vor allem in den Bereich belkantistischer Kehlkopfartistik verweist. Freilich konnte sie das auch – und wie! Aber Donizettis Lucrezia Borgia, die ihr – dank eines triumphalen Erfolgs als Einspringerin für Marilyn Horne bei einer konzertanten Aufführung 1965 in New York – die Türe zur Weltkarriere öffnete, war damals eher eine Randerscheinung in ihrem Repertoire. Dass der Markt sie vor allem für das sogenannte italienische Belcanto-Fach beanspruchte, für Rossini, Bellini, Donizetti, machte sie nicht glücklich. Sie war eher an Verdi- und Puccini-Partien interessiert, mehr aber noch an Richard Strauss: Er blieb, wie sie stets betonte, ihr Lieblingskomponist.

Das mirakulös breite Repertoire der Caballé reichte vom Barock zur moderaten Gegenwart, von Händels Cleopatra über den Belcanto des primo ottocento bis zu Puccinis Turandot sowie Wagners Sieglinde und Isolde (beides im Internet durch Aufnahmen aus Madrid überprüfbar), zum Sopransolo in Bernsteins «Kaddish»-Symphonie auf Platte, aber auch zu mancher Trouvaille am Repertoirerand, wie beispielsweise zur erwähnten Spontini’schen Agnes von Hohenstauffen.

Dass sie über ein völlig unterschiedliche Epochen und Stile umgreifendes Repertoire zu disponieren vermochte, verdankte sie ihrer souveränen Gesangstechnik. Die scheinbar mühelose Beherrschung ihrer Stimme ermöglichten ihr auch ein messa di voce, das bis heute seinesgleichen sucht, ein allerfeinstes fil di voce und ihr legendäres, wundersam leuchtendes Pianissimo. Hinzu kam die Gabe, ein beispiellos schmiegsames Legato zu formen – immer sul fiato, auf dem Atem.

Im späteren Verlauf ihrer Karriere kultivierte sie freilich einen nobel eleganten, doch hinsichtlich der Rollendramaturgie neutralen Interpretationsstil, den sie quasi wie einen Schirm über alle von ihr gesungenen Partien spannte. Sie begann ihre Energie zu dosieren, wozu wohl gesundheitliche Probleme beitrugen: Mitte der 1980er-Jahre entdeckte man einen Tumor in ihrem Kopf; die Ärzte gaben ihr damals drei Jahre Lebenszeit. Doch die Geschwulst erwies sich als gutartig und wurde mittels Laser behandelt. Freilich mag auch dies ein Grund dafür gewesen sein, dass die Stimme schärfer wurde und dass manche ihrer späteren Schallplattenaufnahmen ihr ursprüngliches Potenzial bloß in einigen seligen Momenten transportiert.

Auf jeden Fall limitierte sie dieser Probleme wegen ihre Bühnenauftritte. Ohnehin verabscheute sie Regieexperimente und jede Art von Bühnenhektik, nannte die daraus oft folgende Atemlosigkeit der Singakteure ein «gewolltes Alibi für mangelnde Beherrschung der Gesangstechnik». Wobei sie ihre Abneigung gegenüber solchem Aktionismus auch selbstironisch-listig mit der ihr eigenen stattlichen Raumverdrängung begründete. Bei aller Bevorzugung der klanglichen Schönheit vor der dramaturgischen Stimmigkeit stand indes keine Singmaschine auf der Bühne, sondern immer ein Mensch. Auch wenn dieser stets den unverwechselbaren Habitus der Caballé zu tragen schien. Sie galt als ästhetisches Gegenmodell zur Callas, obwohl sie die große Kollegin hoch schätzte und gelegentlich auch um Rat bat. So etwa, als sie an der Scala die Lady Macbeth singen sollte. Maria Callas riet ihr mit der Begründung ab, die Lady brauche eine durchdringend schneidende Stimme, keine schöne und sanfte wie jene der Caballé. Und diese legte die Partie zurück. Mit der ihr eigenen rigorosen Ehrlichkeit betonte sie in einem Interview in «Opernwelt», die Callas sei Künstlerin gewesen, sie bloß Sängerin mit einer schönen Stimme und guter Technik.

Dank des Songs «Barcelona», den sie 1987 mit Freddie Mercury aufnahm und dann zur Eröffnung der Olympischen Spiele 1992 in ihrer Geburtsstadt sang, wurde sie auch zur Pop-Ikone.

Als Operndiva verzeichnete sie über 4000 Bühnenauftritte an allen großen Opernhäusern der Welt, in zirka 90 (manche sagen über 100) Partien. Zahllose Schallplattenaufnahmen dokumentieren ihre Laufbahn. In den letzten Jahren nahmen ihre gesundheitlichen Probleme überhand. Nach einem Sturz vor sechs Jahren war sie auf den Rollstuhl angewiesen; zuletzt trat sie nur noch sitzend auf. Seit Mitte September lag sie wegen eines Blasenproblems im Hospital de la Santa Creu i Sant Pau in Barcelona. Dort – und nicht auf der Bühne, wie sie es eigentlich wollte – verstarb die letzte echte Primadonna der Opernwelt am 6. Oktober im Alter von 85 Jahren.

Gerhard Persché

 

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