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Pfeifen

Aberglaube im Theater #2

Pfeifen ist eigentlich nie eine gute Idee. Wer im dunklen Wald pfeift, um sich Mut zu machen, nimmt immer ein schlechtes Ende. Wer unschuldig vor sich hin pfeift, führt meistens etwas im Schilde. Wer aus  dem letzten Loch pfeift, hat nicht mehr viel zu erwarten, und wer im US-Bundesstaat Vermont unter Wasser pfeift, füllt mit dem anschließenden Bußgeld die Staatskasse. 

Der folgenreiche Pfiff hat auch am Theater Tradition. Schon mal auf einer Bühne ein kleines Liedchen angestimmt? Denken Sie nicht mal dran! Im Ranking der beliebtesten Aberglauben steht das Pfeif-Verbot weit oben, denn seine Missachtung konnte lange Zeit durchaus weltliche Folgen haben. Bis ins 19. Jahrhundert wurden die Theater mit Gaslampen beleuchtet. Ging der Sauerstoff zur Neige, ertönte ein markantes Pfeifen. Das konnte einerseits bedeuten, dass in der Lampe lediglich nicht mehr genügend Brennstoff zur Verfügung stand, andererseits aber auch, dass Gas aus einer defekten Leitung strömte und somit höchste Brandgefahr herrschte. Unüberlegt zu pfeifen, konnte daher einen Fehlalarm auslösen, der das Proben- und Vorstellungsgefüge empfindlich störte. 

Das Pfeifen diente auch als beliebtes Signal bei den Bühnentechnikern, von denen seinerzeit einige ursprünglich Matrosen und Hafenarbeiter gewesen waren. Als schwindelfreie Knoten-Experten sorgten sie für einen sicheren Ablauf der fahrenden Seilzüge auf dem sogenannten „Schnürboden“ und verständigten sich beim schnellen Wechsel von Bühnenbildern über Pfiffe. Einfach so „herumzupfeifen“, war ebenso streng verboten wie an Bord, um mit den Kommandosignalen nicht durcheinander zu kommen. Ein falscher Pfiff konnte buchstäblich den Tod bedeuten, ob nun auf offener See oder im fragilen Gemeinschaftsgewerk des Theaters. 

Auch Goethe hätte ein Pfiff beinahe das Leben gekostet. Als Intendant saß er gerade in der Weimarer Uraufführung des „Zerbrochnen Krugs“, als ein Zuschauer sein Missfallen pfeifend ausdrückte – und der beleidigte Autor Heinrich von Kleist rot sah. Er witterte eine Verschwörung der Theaterleitung und forderte den nichtsahnenden Goethe zum Duell mit der Pistole. So zumindest die Legende. Sie enthüllt den eigentlichen Kern des Aberglaubens um das Pfeifen: die Angst vor dem Echo. Denn der Widerhall gilt als Stimme unsichtbarer Mächte und lockt Geister und Dämonen an, die als neidische Dauerbegleiter daran arbeiten, alles in sein Gegenteil zu verkehren. So pfeifen Theaterschaffende nicht auf der Bühne, um beim Applaus nicht selbst ausgepfiffen zu werden. Wie es hineinschallt, so tönt es heraus. 

Natürlich bestätigen Ausnahmen die Regel: Innerhalb von Theaterstücken darf gepfiffen werden. In der Oper zum Beispiel wird das gern und ausgiebig getan. Der Teufel tritt in Boitos „Mefistofele“ nicht singend, sondern pfeifend auf. Auch in Konzerten herrscht kein Pfeif-Verbot. „Ich bin die größte Pfeife Deutschlands“, sagte die Schauspielerin Ilse Werner einmal und meinte das keineswegs selbstkritisch. Das Pfeifen enthüllte sich als ihr eigentliches Talent und bescherte ihr 1942 nicht nur den Spitznamen „Reichspfeife“, sondern darüber hinaus eine glanzvolle Karriere im Film und Theater.

Es ist also allein das unbedachte Pfeifen, das verheerende Folgen hat und unbedingt zu vermeiden ist. Sollte es Ihnen doch einmal passieren, muss ein schneller Gegenzauber her, um Teufel und Theatergeister abzuwehren: raus auf die Straße, dreimal um das Theater laufen... Nun ja, den Rest kennen Sie aus der ersten Folge. TOI TOI TOI. 

Sina Katharina Flubacher