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CD des Monats

Verdi «La Traviata»

Durchgängig zeichnet sich diese Interpretation durch eine bewundernswerte Plastizität und beeindruckende Pianokultur aus. Die Tempi sind minuziös austariert, die motorischen Energien erheblich. Der Klang des Orchesters ist schlank, agil, in den Ball- und Salonszenen von tänzerischer Leichtigkeit – und selbst in den schwerblütigen Momenten dieser tragischen Gesellschaftsoper noch geprägt von hoher Transparenz.

Das macht es für die Sängerinnen und Sänger leichter, sie müssen das Orchester nicht «übertönen». Häufig genug wird Verdis «Traviata» als ein Stück der sentimentalen Überwältigung verstanden, als ein schwerblütig-romantischer Schmachtfetzen. Hier ist das durchaus und überaus wohltuend anders. Kammermusikalische Augenblicke überwiegen (sogar die Chöre sind von Grazie und Anmut durchwirkt), sodass sich das Drama einer richtigen Leidenschaft unter falschen Voraussetzungen vor dem gesellschaftspolitischen Hintergrund wirklich zwischen den drei Hauptprotagonisten abspielt, zwischen Violetta, Alfredo und dessen Vater Giorgio.

Lisette Oropesa deutet diese wohl bekannteste (und damit heikelste) aller Verdi-Heroinen aus dem Geiste Mozarts und des Belcantos. Ihre technisch makellose Stimme besitzt zwar nicht entfernt jenes Volumen, wie es Sonya Yoncheva oder Rachel Willis-Sørensen aufbieten (von der abgründigen Glut der Callas mal ganz zu schweigen), aber sie ist fein artikuliert, höhensicher bis zum dreigestrichenen E in der Schlussphrase «il mio pensier» am Ende des ersten Akts (das Oropesa des Effekts wegen eine Oktave höher singt als in der Partitur notiert) und zumal in den niedrigen dynamischen Bereichen von einer feinnervigen Insistenz, die das Fragile der Figur deutlich unterstreicht.

Verdi «La Traviata», Lisette Oropesa, René Barbera, Lester Lynch u.a.; Dresdner Philharmonie, Sächsischer Staats-opernchor Dresden, Daniel Oren Pentatone PTC 5186956 (2 CDs); AD: 2021

Die gesamte Rezension von Jürgen Otten lesen Sie in Opernwelt 9-10 2022