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Biographie – (k)ein Spiel...

Schauspieler*innen des Jahres: Maja Beckmann, Benjamin Lillie; Inszenierung des Jahres: Jean-Luc Lagarce «Einfach das Ende der Welt», inszeniert von Christopher Rüping

In «Einfach das Ende der Welt» spielt auch der Heimat-Begriff eine Rolle. Es steht eine imaginierte Heimat gegenüber der desillusionierenden Realität
Lillie Ja, was bedeutet Heimat? Ich kenne es von mir selbst: Als ich das erste Mal während meiner Zeit an der Schauspielschule wieder zu Hause war und meine Freunde besucht habe – ich bin mit allen weiterhin befreundet –, habe ich gemerkt, dass sich nicht nur mein Leben verändert hat, sondern auch das meiner Freunde. Das Leben geht weiter, IHR Leben geht weiter und ist nicht langweiliger als meines. Man kommt zurück und denkt, alles ist wie immer, aber so ist es nicht. Wie sehr imaginiert man sich seine Heimat, und inwieweit täuscht die Erinnerung?
Beckmann Oder kann man überhaupt entfernen und auslöschen, woher man kommt? Lässt sich das wegschneiden?
Lillie Ich glaube, das ist definitiv kompliziert. Ich tue mich mit einem Heimatbegriff aber irgendwie immer schwer.

Rüping Ja, ich auch, dabei ist die Herkunft ein so zentraler Bestandteil der Geschichte, die man sich selbst und andern über sich erzählt. Sobald man jemanden kennenlernt, geht’s irgendwann auch um Herkunft, um Familie, um Heimat. Das sind Themen, über die man sich zu verständigen und zu erkennen geben kann, dadurch wird man als Mensch lesbar, auch für sich selbst, denke ich. Am Theater gibt es zum Beispiel genau zwei Geschichten zum Thema Herkunft, die man immer wieder hört: Entweder man erzählt, dass man sich mühsam aus einem komplett bildungsfernen Arbeiterhaushalt herausarbeiten musste, um entgegen jeder Wahrscheinlichkeit im Theater einen Zufluchtsort zu finden; oder man erzählt, dass man mehr oder weniger dem Landadel entfliehen und irgendwann die Übernahme der väterlichen Güter dem verruchten Theater opfern musste. Das sind die stereotypen Geschichten. Die Wahrheit liegt natürlich immer irgendwo dazwischen oder wo ganz anders, aber man findet diese Grundtypen an Erzählungen über sich in vielen Bereichen, auch in anderen Berufsbiografien. Es ist nicht so ganz einfach, sich von der eigenen Geschichte völlig loszusagen. Wo ich herkomme, erzählt viel darüber, wer ich bin. Und wer ich bin, erzählt in der Differenz dazu, wer ich sein will, viel über den Weg, der vor mir liegt. Ich glaube, diesen Ausblick brauchen wir als Menschen. Das war für uns eine zentrale Überlegung im Zugang zu Lagarce’ Stoff, weil immer die Frage bleibt, was der Protagonist mit seiner Rückkehr eigentlich beabsichtigt. Will er sich versöhnen, oder will er den endgültigen Bruch, endgültig loslassen können? Allein, dass er nach zwölf Jahren nach Hause will, bedeutet doch schon, dass zwischen ihm und seiner Vergangenheit, zwischen der Person, als die er geboren wurde, und der Person, die er geworden ist, eine Spannung entstanden ist, die er nicht mehr aushält.

Beckmann Vielleicht will er einfach das Bild, das er sich gemacht hat, nochmal bestätigt bekommen.
Rüping Das wäre letztlich ein Loslösen, sozusagen der endgültige Beweis dafür, dass er weggehen musste und die Familie wirklich schuld ist an seinem missratenen Leben.
Lillie Das Schöne daran ist doch, dass man es nicht weiß. Es bleibt in der Schwebe.

Das gesamten Gespräch mit den drei «Siegreichen» von Andreas Klaeui lesen Sie im Jahrbuch Theater heute