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«Familie Brasch»
«Familie Brasch»
Nur eines der Kinder der «Familie Brasch» ist heute noch übrig, die Jüngste, Marion Brasch, die es nun als ihre Aufgabe sieht, von den anderen, den Verstorbenen zu berichten: von Thomas und Klaus und von Peter. Sie hat das bereits im Roman «Ab jetzt ist Ruhe» getan, der, ohne Namen zu nennen und in leicht fiktionalisierter Form, die Geschichte ihrer DDR-Kindheit erzählt. Und in einer Textcollage, «Brüder Brasch», die sie gemeinsam mit ihrer Tochter, der Schauspielerin Lena, die auch mitspielt, am Deutschen Theater eingerichtet hat. Und jetzt noch einmal, von Anfang bis Ende und ohne Fiktion, im Dokumentarfilm von Annekatrin Hendel, der das Familienalbum aufblättert und Marion Brasch beim Blättern den Kommentar zum großen Teil überlässt.
Natürlich gibt es zur Oral- auch eine Visual-History-Spur, darunter Szenen aus den Proben zum Stück am DT. Es finden sich Fotos und Filmbilder aus dem Archiv, Aufnahmen, die Thomas und Peter Brasch selbst gemacht haben, ein Ausschnitt aus «Solo Sunny» mit Klaus Brasch, der Schauspieler war und mit noch nicht einmal dreißig im Jahr des Erscheinens des Films an einer Mischung aus Alkohol und Schmerztabletten starb. Es gibt aber auch Szenen aus Thomas Braschs großen, heute viel zu wenig bekannten Spielfilmen «Der Engel aus Eisen» und «Der Passagier» (beide liefen in Cannes, aber das weiß heute kaum jemand mehr). Zusätzlich setzt Hendel, manchmal ein bisschen hyperaktiv, noch einen anderen Rahmen, mit Hilfe des Künstlers Leif Heanzo: Der hat in einem von Ferne sozrealistisch anmutenden Stil Szenen der Familie gemalt, die als Unterbrecher zwischen den Porträts der einzelnen Mitglieder fungieren.
«Familie Brasch» ist eine chronologisch voranschreitende Familienerzählung, die die private Geschichte mit Aufstieg und Niedergang des real existierenden Sozialismus verschränkt. Mitten drin war Horst Brasch, 1922 geboren, als (zum Katholizismus konvertierter) Jude mit einem Kindertransport nach England gelangt, dort als junger Mann beteiligt am Aufbau der FDJ, in der DDR dann treuer Parteisoldat und Funktionär, der es bis zum stellvertretenden Minister für Kultur brachte. Bei den Söhnen, Thomas Brasch ganz besonders, verband sich private mit politischer Dissidenz, beim Vater politischer mit privatem Dogmatismus – die literarische Aufmüpfigkeit führt beim Sohn zur Ausreise in den Westen, die Karriere des Vaters nahm wegen der Schwierigkeiten in der Familie ihr vorläufiges Ende in Chemnitz, Horst Brasch unternahm einen halbherzigen Selbstmordversuch. Die Tochter berichtet, wie sie in der Küche den Abschiedsbrief fand.
Mit ihrer Protagonistin, die Beteiligte und Zeitzeugin ist, hat Hendel ausgesprochenes Glück. Marion Brasch findet eine schöne Balance aus analytischer Distanz und emotionaler Nähe, aber auch die anderen Talking Heads haben es auf ihre Art in sich. Etwa die Politsängerin Bettina Wegner, die einen Sohn mit Thomas hat, der auch auftritt, aber für sein Empfinden nicht recht zur Familie gehört. Wegner erinnert sich an die erste Begegnung und ist wie in ihren Liedern wunderbar komisch-pathetisch. Katharina Thalbach, die Thomas liebte und mit der er noch drehte, als sie schon kein Paar mehr waren, berichtet so nüchtern wie in Ewigkeit solidarisch. Aber auch die Malerin Petra Schramm, die Hendel in ihrem Atelier filmt, erhellt den Blick auf ihren vor allem als Kinderhörspielautor erfolgreichen, wie Thomas 2001 verstorbenen ehemaligen Lebensgefährten Peter Brasch.
Die biografischen Stücke, die erinnernden Sätze, die dokumentierenden Aufnahmen fügen sich zur Geschichte vom Glück und Unglück einer Familie, deren Schicksale eigenwillig in die Fährnisse des Kommunismus im 20. Jahrhundert eingewoben waren. Der bis zuletzt sture Parteikader Horst Brasch hat das Ende der DDR gerade so nicht mehr erlebt. Thomas Brasch, der im Westen als weiter bekennender Sozialist dissident blieb, kam mit seinem letzten Riesenprojekt «Mädchenmörder Brunke» nicht zurande, dessen größter Teil im Nachlass noch der Veröffentlichung harrt. Ein loser Faden unter vielen. Das Schöne an «Familie Brasch» ist, dass Annekatrin Hendel sie nicht unter eine Gesamtdeutung zwingt.
Ekkehard Knörer