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Katz meets Taylor

Alex Katz' Werke in München

Das beinahe lebensgroße Gemälde zeigt einen großen Mann in weißem Shirt über weißen Leggings auf monochromer grauer Fläche. Breites Kreuz, muskulöse Oberschenkel, etwas füllig in der Taille. Er steht. Der konzentrierte Blick geht am Betrachter vorbei in die Ferne. Seine Arme hängen seitlich am Körper herab. Parallele Beinstellung. Die Füße sind ihm besonders groß gemalt. Ein Tänzer.

Das Porträt des Choreografen Paul Taylor schuf Alex Katz 1959. Also ein Jahr, bevor die Zusammenarbeit der beiden Künstler begann, die fast drei Jahrzehnte andauern und 14 gemeinsame Produktionen umfassen sollte. «I‘d never seen anything like it before, I was really surprised», sagte Katz über den tanzenden Taylor. Anscheinend hatte der befreundete Dichter und Kritiker Edwin Denby den Künstler, der selbst ein begeisterter Gesellschaftstänzer gewesen sein soll, zu Aufführungen mitgenommen.

Beide, Katz und Taylor, begannen in den 1950er-Jahren ihre Karriere. Katz hatte 1954 seine erste Einzelausstellung in der New Yorker Roko Gallery; im selben Jahr debütierte Taylor als Choreograf mit seiner frisch gegründeten Paul Taylor Dance Company. Sein Freund Robert Rauschenberg schuf für diesen ersten öffentlichen Abend Bühnenbild und Objekte. Der innovative und experimentierfreudige Rauschenberg, der sich gleichzeitig in das Künstleruniversum von Merce Cunningham und John Cage einschrieb, stattete auch weitere frühe Werke Taylors aus, der seinerseits in Cunninghams 1953 gegründeter Kompanie auftrat wie auch bei Martha Graham und am Broadway. Aber eigentlich befand sich der 1930 in Pennsylvania geborene Tänzer damals noch in der Ausbildung. 

Mit einem Stipendium kam der gute Schwimmer 1950 an die Syrakuse University. Dort entdeckte er den Tanz, schuf sein erstes Werk, «Hobo Ballet», verließ die Uni und gelangte mit Unterstützung von Doris Humphrey, des Komponisten Louis Horst und verschiedener Tänzer zum «American Dance Fes tival». Dort sah Martha Graham den vielversprechenden, aber unerfahrenen Taylor und lud ihn in ihr Studio ein, wenn er mal in New York sei … Man kennt die Geschichte. Taylor kam, trainierte, lernte und reüssierte. Graham schuf große Rollen für ihn, Balanchine engagierte ihn als Gasttänzer ans New York City Ballet, den starken Mann in Weiß. Auch das war 1959.

Parallel dazu trieb er seine eigenen Choreografien voran. Für den Abendfüller «7 New Dances» forschte er 1957 nach neuen Bewegungsmöglichkeiten, war fasziniert von «pedestrian movements» und bis zum Stillstand reduzierter Bewegung. So kreierte er ein minimalistisches Duett, in dem die Tänzer vier Minuten lang in Stille und Stillstand auf der Bühne verharrten. Louis Horst, der im Pub likum saß, fand diese Prä-Judson-Geste furchtbar und schrieb eine Kritik, indem er vier Inches Papier leer ließ und unter dieser Fläche signierte.

Mary Wegmann zufolge, die Taylors Werkbiografie für die Dance Heritage Collection verfasste, brachte dieser Affront des Kritikers den Choreografen dazu, kommunikativere Stücke aufzuführen. Mit Erfolg. Sein 1962 am Connecticut College uraufgeführtes «Aureole » für drei Tänzerinnen und zwei Tänzer zu Musik von Georg Friedrich Händel landete einen großen internationalen Erfolg und wurde zu einem Markenzeichen Taylors. Fließende Bewegungen, weite Laufschritte, schwingende Arme, emporschnellende Sprünge alternieren mit ruhigen Off-Balance- Figuren, langen Balancen und langsamen Drehungen am Platz. Den athletisch hochgetunten Modern-Dance-Duktus kombiniert Taylor hier mit Formationen und Aura des klassischen Tanzes. Für die Ausstattung zeichnete Taylor selbst verantwortlich, unter dem Pseudonym George Tacet. Sonst aber übernahm das ab 1960 Alex Katz, nachdem Rauschenberg und Taylor sich getrennt hatten. Denn Rauschenberg wollte, dass Taylor mit einem auf den Rücken geschnallten Tisch tanze. Taylor weigerte sich. So heißt es. Und Katz sprang ein.

Der 1927 in Brooklyn geborene, in Queens aufgewachsene Alex Katz besuchte die Woodrow Wilson High School, an der man vormittags theoretische Studien und nachmittags Kunst machte. Er studierte an der Cooper Union Art School in Manhattan und bekam nach seinem Abschluss ein Stipendium an der Skowhegan School for Painting and Sculpture in Maine, wohin er immer wieder zurückkehrte. 1954 richtete er sich dort ein Atelier ein, begeistert von der Möglichkeit, im Freien zu malen – bei natürlichem Licht. Wie vom Licht in Maine war er auch von Leben und Kunst in New York fasziniert. Während er studierte, veränderte sich die Stadt spürbar. In einem Interview mit Martin Clark, künstlerischer Leiter der Tate St Ives, erinnerte er sich 2012: «The jazz was fantastic. The dance was fantastic. The poetry was great. All these things were going on simultaneously, and everything was accessible, all just a block away from the art school.» Hier formte sich, was ihn interessierte. Das war nicht Pollocks abstrakter Expressionismus, der damals gefeiert wurde. Katz verehrte Matisse. Er arbeitete mit ausgeschnittenem, farbigem Papier. Er zeichnete. Er perfektionierte seine flächig aufgetragenen Farben. Legte seine Bilder großformatig an. Katz war Prä-Pop. «I never fit in. I am not a Pop artist, and people can‘t see my work as realistic, either», sagte er 2018 dem «New Yorker».

Katz hatte sich entschieden, seine Motive realistischer anzugehen. Gegenständlicher, auf seine Art der zeitgenössischen Realität verpflichtet. Er porträtierte Menschen und Menschengruppen. Seine Freunde, wiederholt Paul Taylor. Natürlich immer und immer wieder seine zweite Frau Ada, die zu seiner Muse und für seine Kunst ikonisch wurde. Selbst in dem Bild mit dem Titel «Private Domain» von 1969, das während der Proben zu Taylors gleichnamigem Stück entstand, für das er die Ausstattung schuf, meint man in einer Tänzerin Ada zu sehen, ihr von schwarzen Haaren umrahmtes, großflächiges helles Gesicht mit dem geschwungenen Mund und den markanten, dunklen Augen. Auf dieses beinahe wandfüllende, etwa drei mal sechs Meter große Gemälde fällt der Blick, noch bevor man den ersten Raum der Ausstellung «Alex Katz» im Münchner Museum Brandhorst betritt. Die Tänzerinnen und Tänzer, von Katz in schummernde grüne Bikinis und Badehosen gesteckt, werden auf dem Bild in extrem sich überschneidende Staffelungen gruppiert. Alle tun etwas anderes. Eine Tänzerin neigt sich in einer Arabesque penchée, eine andere steht à la seconde wie an der Stange, eine Frau legt ihrem Partner den Arm um die Schulter. Ein Grüppchen sieht zu; ein Paar ganz woandershin. Der Witz dieses Gemäldes ist, dass allein hier diese Zusammenschau möglich ist, denn für das Stück selbst hatte Katz Stoff vor die Bühne gespannt, mit drei Fenster-Ausschnitten, die nur partielle Blickwinkel auf die Aktionen der Tänzer erlaubten. Das zweite großflächige Tanzbild der Ausstellung, «Paul Taylor Dance Company» (1963/64) betitelt, zeigt eine Sequenz aus Taylors Werk «Scudorama». Die Flächigkeit vermittelt einen Eindruck von der multifokalen Raumaufteilung der Choreografie, deren unterschiedlichen, gestenreichen Bewegungsmomenten: Eine Tänzerin verschraubt sich in der Spirale, eine andere hält den linken Arm kokett angewinkelt, als sei sie eine «Cats»-Katze, ein Tänzer, der aussieht wie Taylor selbst, hält seine Partnerin, die nach unten gleitet, ein anderer wiederum steht in Cunningham-Manier und wächst Yoga-gleich in den Himmel. Die Atmosphäre ist heiter. Würde man das Bild mit Fotos der damaligen Kompanie vergleichen, könnte man durchaus die dargestellten Tänzer und Tänzerinnen identifizieren. So aussagekräftig ist das sparsame Detail.

Katz beleuchtete Taylors Stücke mit weißem Licht und hüllte die Tänzer und Tänzerinnen in pastellfarbene Kostüme. Für «Diggity» (1978) stellte er 35 Aluminiumskulpturen mit Hundeköpfen auf die Bühne und bekam dann Skrupel, weil deren scharfe Kanten die Tanzenden verletzen könnten. So ein Cutout steht auch in der Ausstellung: eine Eiskunstläuferin in grünem Trikot, in ihrer Drehdynamik erstarrt. Taylor sah sich die Skulpturen an und entschied, seine Leute zwischen den Skulpturen rennen, statt sie um sie herum tanzen zu lassen. Einer brachte den anderen auf neue Gedanken. Katz lernte von Taylor, wie Gesten eingesetzt und Beziehungen zwischen Menschen gestaltet werden können. So liest man auf Katz‘ Website (www.alexkatz.com): «I learned from Paul that all your pieces don‘t have to be the same. I learned from Paul never to be complacent towards the public. I learned a lot from Paul in terms of styling ideas. I learned a lot from Paul that the one person you don‘t want to bore is yourself.»

Katz‘ Interesse am Tanz hielt auch über die konkrete Zusammenarbeit mit Taylor an, die 1986 endete. Er schuf weiterhin Serien von Gemälden mit Tanz-Motiven, die unter dem Titel «Face the Music» in Paris und gerade in Salzburg zu sehen waren. In der Münchner Schau bilden die drei Tanz-Bilder unter den rund 90 Exponaten das fulminante Entree. In seiner Autobiografie «Invented Symbols» (2012) schrieb Katz über Taylor, der am 29. August 2018 verstarb: «His choreography was one of the most surprising things I had seen as an artist. Paul‘s dancing seemed to be a real break with that of the previous generation: no expression, no content, no form, as he said, and with great technique and intelligence.»

Katja Schneider

«Alex Katz», bis 22. April im Münchner Museum Brandhorst; der gleichnamige Katalog bei www.hirmerverlag.dewww.museum-brandhorst.de