Bis Anfang des 20. Jahrhunderts waren die Tänzer noch Leibeigene des Zaren. Hierarchisches Denken ist im Ballett systemimmanent. Lässt sich das tatsächlich ganz überwinden?
Für uns ist es wichtig, dass Studierende als Menschen behandelt werden, die selber denken, mitdenken und sich weiterentwickeln wollen. Früher war es das erklärte Ziel, Solisten heranzuziehen und zu formen. Das ist es nicht mehr. Wir bilden Tänzer aus, die an jedem Theater, in jeder Kompanie tanzen und ihr Feedback geben können. Also Tänzer, die sich nicht bedingungslos dem Meister-Schüler-Prinzip unterwerfen.
Das erfordert in der Tat eigenständiges Denken. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, als es hieß: «Die sollen nicht denken, sondern tanzen».
Das habe ich nie gesagt. Ich habe von Anfang an gesagt, wir brauchen mitdenkende Tänzer. Sie müssen wissen, was sie machen. Sie müssen wissen, was sie können. Sie müssen wissen, warum sie das tun, was sie tun. Zusätzlich muss ihnen eine Tür geöffnet werden für die Zeit nach ihrer Tänzerkarriere. In den zehn Jahren, die ich jetzt hier bin, habe ich ehemalige Studenten und Studentinnen erlebt, die umgestiegen sind auf Choreografie. Eine studiert jetzt Psychologie. Unsere deutschen Studierenden, die Abitur machen wollen, besuchen parallel zu ihrer Tanzausbildung eine Abendschule, die anderen studieren online. So können sie später mit unserem Bachelor weiterstudieren.
Wie begreifen Sie Ihre Aufgabe als Lehrer?
Was mir besonders wichtig ist: Auch Lehrende müssen ständig umdenken. Ich stelle mich jeden Tag infrage, überprüfe immer wieder, was ich an Neuem gelernt habe, und was ich besser machen könnte. Es kommt nicht darauf an, dass ich das und das gelernt habe, ich kann nur Erfahrung weitergeben. Die Studierenden und ich sind ebenbürtig. Sie lernen von mir und ich von ihnen.
Das gesamte Gespräch mit Jan Broeckx von Eva-Elisabeth Fischer lesen Sie in tanz 1/21
