Im Reichsbürger-Camp
Das Käuzchen schreit, die Fichten leuchten düster im Mondlicht, grobe Mannschaftszelte drängen sich im Halbkreis auf der Lichtung, ein Lagerfeuer lodert vor sich hin. Bär(t)ige Männer greifen nach der Kaffeekanne, stimmen schleppend völkisches Liedgut an (Musik Tristan Brusch), lassen antisemitische Bemerkungen fallen, tragen seltsame Abzeichen am Ärmel. Vorne planscht einer allein leicht melancholisch am rampennahen Bach. Später wird immer mal wieder Hubschrauberlärm drohend über den Wald flappen, dann verstecken sich alle hektisch.
Was ist das? Eine Reichsbürger-Abteilung bei der Freiluft-Übung? Eine Prepper-Gang im Camping-Urlaub?
Ganz falsch. Regisseur Ersan Mondtag hat Büchners «Woyzeck» in eine reine Männergesellschaft verwandelt, weil er sich, so das Programmheftinterview, für Schuld und Verantwortung in «komplexen Gewaltdynamiken» interessiert. Eine reine Männerwelt halte er da für vorteilhaft, um «die gesellschaftliche Gewaltdimension durch die Verweigerung einer binären Gewaltbetrachtung sichtbarer zu machen».
Allerdings geht es bei den Waldgängern im Berliner Ensemble nicht übertrieben komplex zu. Es gibt ein paar örtliche Stimmführer wie den als Fantasiejäger ...
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Theater heute November 2023
Rubrik: Chronik, Seite 55
von Franz Wille
«Künstlerisch. Zusammen. Arbeiten» – das Thema ist so aktuell und brisant, dass ich auf unsere gemeinsamen Gespräche sehr gespannt bin. Nicht von ungefähr steht hinter jedem Wort der Überschrift ein Punkt, als müsse dadurch die Komplexität der Sachverhalte hervorgehoben werden, zumal diese drei Wortfelder einander sich widersprechende Herausforderungen bezeichnen....
Da teilen sie die Massen, gekommen zu Hunderten zum Rave in die Jahrhunderthalle. In jener lässigen, unaufgeregten, königlichen Nacktheit, nur Sicherungsgürtel um die Taille, schreiten Florentina Holzinger und zwei ihrer Performerinnen zum riesenhaften Weihrauchpendel, das über der Tanzfläche sakrale Aromen verströmt. Die eine sichert von unten, die anderen...
Antú Romero Nunes geht wieder zurück zu den Wurzeln des griechischen Theaters. Indem er nur zwei Spieler:innen alle Figuren von Sophokles’ «Antigone» sprechen lässt. Indem er das Stück zum Volksstück macht, es immer wieder mit derbem Humor würzt. Und indem er – wie schon den Tschechowschen «Onkel Wanja» – eine schweizerdeutsche Fassung von Lucien Haug spielen...