Hübsche Dreckswelten
Was für eine Wiederentdeckung! Hans Henny Jahnns letztes Theaterstück «Der staubige Regenbogen» strotzt nur so vor dystopischen Visionen und visionären Motiven: Es geht um die menschliche Fähigkeit, sich durch Wissenschaft und nukleare Technik selbst auszulöschen, um Fortschritt durch Kolonialismus und Krieg, um medizinische Experimente und künstliche Intelligenz; nebenbei werden Generationenkonflikte und queere Lebensentwürfe verhandelt.
Im Zentrum stehen der Atomphysiker und Vernunftmensch Jakob Chervat und seine Familie; Chervat wird, als er erfährt, dass eine Explosion in seiner Einrichtung 8000 Tote statt der offiziell behaupteten 78 gefordert hat, vom loyalen Wissenschaftler im Dienste des kriegstreiberischen Regenten Sarkis zum Gegner seiner eigenen Forschung; obendrein sind sein Sohn Elia und seine schwangere Frau Jeanne direkt von Strahlungsfolgen betroffen. Ein Wahnsinnsfund also, aber auch: Was für Dialoge, welch verdruckst-schwärmerische Sexualität, was für ein merkwürdiges Frauenbild! Hier sagen Männer zu Männern Sätze wie «Als noch die Schulbank unsere Schenkel drückte, haben wir einander geliebt», und Mütter zu Söhnen «Ich habe Gewalt über mich. Ich habe den Ausweg ...
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Theater heute März 2023
Rubrik: Aufführungen, Seite 19
von Eva Behrendt
Wenn sie wüssten! Wenn sie wüssten, was später mit ihnen passiert. Dann würden diese vier Männer in ihren lodengrünen Trachtenanleihen jetzt nicht so fröhlich rumstehen und «Auf, auf zum fröhlichen Jagen» brüllen. Mit eckigem Schwung in ihren Armen und Beinen, so schrecklich frischbackig und stolz. Denn später werden sie selbst zu Gejagten werden. Dann wird Marinka...
Bitte nicht schon wieder politisches Theater, das wird die Welt nicht verbessern», meckert die grazile alte Dame in der ersten Reihe. Es ist Geraldine Chaplin, und es ist die Crème de la crème der römischen Upperclass, die sich auf Senecas Landsitz eingefunden hat, um unter freiem Himmel einer Exklusivvorstellung seines Dramas «Thyestes» beizuwohnen, der...
Ziemlich sportlich, wie das Maxim Gorki Theater Kafkas «Amerika»-Roman liest: eine Textraserei, in der sich das achtköpfige Ensemble nicht nur den 16-jährigen Protagonisten Karl Roßmann reihum zuwirft, auf kreiselnder Drehbühne im Dauerlauf durch den Szenenparcours hechtet, von verzerrt-verfremdeter Sprechhaltung zu verbogenen Körpern switcht, getrieben von...