Erinnerungspflicht
Melancholisch schön drängt und krächzt die Geigenmusik (Vivan Bhatti) zur Betroffenheit, verwirrend reflektieren sich die vielen Bildschirme und Fenster auf der Bühne von Anne Ehrlich. Ganz in der Mitte steht ein durch Wände zum Großteil verdecktes Wohnzimmer, immer wieder erhascht man Blicke auf Ikea-Betten, ein Viergewinnt-Spiel, Notenständer, rosa Vorhänge, nach vorne hin flackert virtuell ein Kamin: solider westdeutscher Mittelstand.
Aus dem heraus erzählen zunächst einmal die Schauspieler:innen selbst seltsam distanziert aus ihrer vermeintlich intakten 90er-Jahre-Vergangenheit, als Nach-Wende-Euphorie auf wachsende Neonazi-Strukturen traf. Kristin Steffen etwa von der Schwäbischen Alb: «Rassismus hatte mit uns nie was zu tun», Hitlers Geburtstag wurde dennoch gefeiert. Bei ihrem Praktikum am Theater Chemnitz wurden Stücke über Nazis nicht programmiert, um keine Zuschauer zu verschrecken. Stefko Hanushevsky erzählt von seinem österreichischen Dorf, wo die Leichen der mörderischen Treibjagd der Zivilbevölkerung auf KZ-Flüchtlinge noch nicht lange unter der Erde liegen und der Politiker Jörg Haider gefeiert wird, «Heimatliebe statt Marokkanerdiebe» auf den Wahlplakaten steht. ...
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Theater heute August/September 2022
Rubrik: Chronik, Seite 59
von Dorothea Marcus
Das aktuelle Plakatmotiv von Radikal jung, ein Schnappschuss der belgischen Fotografin Frieke Janssens, zeigt eine Turnerin, die sich kopfüber und einhändig auf einem Reck balancierend mit dem Finger der anderen Hand die Brille auf der Nase hält, während sie entschlossen etwas zu fixieren scheint. So ähnlich mögen sich die Macher:innen des Festivals Radikal jung in...
AACHEN, GRENZLANDTHEATER
5.8. Setaire, Ein Herz aus Schokolade
R. Anja Junski
16.9. Hübner und Nemitz, Die Wahrheiten
R. Volker Schmalöer
AACHEN, THEATER
16.9. Stockmann, Das Imperium des Schönen
R. Moritz Peters
22.9. nach Louis, Die Freiheit einer Frau
R. Tommy Wiesner
24.9. Syha nach Steinbeck, Jenseits von Eden
R. Martin Schulze
ALTENBURG/GERA, TPT
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Einige Jahre nach dem Erdbeben von Kobe im Jahr 1995 schrieb Haruki Murakami eine Sammlung von Kurzgeschichten mit dem Titel «After The Quake» («Nach dem Beben»). Das Buch enthält sechs Erzählungen, deren Protagonist:innen interessanterweise das Erdbeben nicht direkt erlebt haben, sich aber nach dem Beben ihren Traumata stellen mussten.
Ich wurde oft gefragt...