Erodierende Realitätswahrnehmung

Elfriede Jelinek «Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen!»

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Elfriede Jelineks Stück «Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen!» gleicht einem Flug durch den gewaltigen Nebel an Gerede, der sich im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie vor allem in den digitalen Medien ähnlich rasant verbreitet hat wie das Virus selbst. Bemerkenswert ist, wie Jelinek im lauten Streit «aufrichtiger Meinungen» ein Netz verdeckter Korrespondenzen entdeckt.

Welchen Standpunkt sie in ihrer ständig nomadisierenden Autorinnenschaft auch bezieht und gleich wieder verlässt: Blind und taub für das Gegenüber, aber auch für eigene Abgründe, gehen bei ihr letztendlich alle Ansprüche auf «Wahrheit» in einem freiwillig-unfreiwilligen Gelächter zu Bruch. 

Besonders laut melden sich in dieser Kakofonie Anhänger:innen von Verschwörungsmythen zu Wort, die sich wütend gegen die vermeintliche «Corona-Diktatur» der «Mächtigen» wenden, Bill Gates als Strippenzieher anprangern, Handymasten anzünden, weil sie einen Zusammenhang mit der Verbreitung des Virus sehen, oder die Gefährlichkeit von Covid-19 herunterspielen. Der schnelle Reflex legt nahe, diese Positionen als Spinnereien abzutun. Doch die Penetranz, mit der Jelinek deren Vertreter:innen ihre vermeintlichen Feinde als die ...

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Theater heute Jahrbuch 2021
Rubrik: Neue Stücke, Seite 145
von Rita Thiele

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