Auf der Suche nach Gegenwart

Johan Simons’ «Die Fremden» und das makellose Musikprogramm der Ruhrtriennale, das auch dann noch funkelt, wenn anderes holpert

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Nach ungefähr der Hälfte von «Die Fremden»: endlich Wow! Johan Simons’ Inszenierung einer Bühnenfassung von Kamel Daouds Camus-Roman «Der Fall Meur­­sault – eine Gegendarstellung» dauerte schon eine knappe Stunde, und fünf Darsteller laufen um ein Orchester auf einer gewaltig ausgedehnten, an eine Vulkaninsel erinnernde, mit tiefschwarzen Kohleresten bedeckten Wüste in der Halle der Kohlenmischanlage der Zeche Auguste Victoria zu Marl herum.

Abwechselnd, je nach Rolle, Ethnizität und Klassenlage, tragen sie einen Blaumann oder einen Anzug, wenn sie dies und das aus dem Roman vortragen. Dann aber: ein rundum außerirdischer Akkord! Dies kann nicht das feinsinnige Kammerorchester da unten intoniert haben: eine gewaltig grunzende Warnung, und die gigantische, menschenverschlingende Kohlenmischmaschine setzt sich in Bewegung. Auf Schienen so breit wie ein Fußballfeld setzt sie langsam zurück. Bisher war diese schmutzig-erhabene Wand auf Rädern nur der Star des Abends gewesen – jetzt ist sie plötzlich viel mehr: eine präzise, rockende Verunsicherung, ein Kick aus einer anderen Welt. Die industriellen Titanen haben gesprochen und den postindustriellen Olympiern mal wieder die Show ...

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Theater heute Oktober 2016
Rubrik: Festivals, Seite 24
von Diedrich Diederichsen

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