Zürich: Wüstestmögliche Wendung
Ein dunkler, durchsichtiger Screen verschattet die Szene. Darauf erscheint der Stücktitel, «Jean Genet, Die Zofen», wie aufgemalt, ein schreiend weißes Schriftbild, wie es die Film-noir-Typografen der 40er liebten. Schon fährt eine subjektive Livecam auf nackte Frauenschulterblätter zu, ein grausiger Handschuh greift mordlüstern ins Bild, die Dame am Schminktisch schreckt herum, zu spät, der Handschuh fasst zu und beschmiert
ihre hübsche Wange. Sie wird den Fleck nicht überschminken.
Dreck ist eine der Fetischtrophäen in Jean Genets symbolbefrachtetem Kammerspiel von 1947.
Kein Wunder. Das Stück ist eine einzige Attacke auf die Reinlichkeit der bürgerlichen Wertbegriffe. Claire und Solange, die beiden Zofen, treiben im Schlafzimmer ihrer gnädigen Frau erotische Spiele um Dominanz und Unterwerfung, sie tun das heimlich, mit Lust am Ekel, und sie hebeln dabei sexuelle Ordnung und soziales Klassendenken aus.
Die Zofen in Zürich haben in Madames blütenweißem Boudoir eine ganze Bettpfanne voll dunkler Schmiere gebunkert. Auf den Videobildern färbt sie sich blutrot, wodurch die Szenerie Schneewittchen-Effekte gewinnt. Was dabei verloren geht, ist die Erzählkraft des Theaters. ...
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Theater heute Juni 2015
Rubrik: Chronik, Seite 60
von Stephan Reuter
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