Wien: Rettet die Wale

Sean Keller «Sommer» (U)

Es lohnt sich, vor Beginn der Aufführung die Synopsis im Programmheft zu lesen. Da erfährt man, dass das Stück im Jahr 3000 spielt, wenn ein großer Teil der Menschheit längst in Weltraumkolonien ausgewandert ist, während sich der auf der Erde verbliebene Rest mit knappen Ressourcen, geschmolzenen Polkappen und einem «neokommunistischen» System herumschlagen muss. Das Stück beginnt damit, dass der Held und Erzähler, der den individuellen Leistungsdruck im Orbit nicht mehr ertragen hat, auf die Erde zurückkehrt.

Er lässt sich willig als Straßenkehrer einschulen und trifft schließlich auf eine Widerstandsgruppe, deren Mitglieder sich selbst verstümmeln, um sich ihrer Identität zu versichern – was in dem streng konformistischen System, gegen das sie ankämpfen, nicht vorgesehen ist. 

Im Stücktext selbst werden viele dieser Informationen nur skizzenhaft angedeutet. «Sommer» ist eine postdramatische Textfläche ohne Rollenzuschreibungen, eine Collage aus Stimmen, langen Monologen und kurzen Dialogstellen, hin und wieder von avantgardistischen Spielereien – verblassende Zeilen, seitenweise Zahlenreihen – unterbrochen. Der 1992 im Allgäu geborene Sean Keller, der auch Bühnenbildner und ...

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Theater heute April 2019
Rubrik: Chronik, Seite 60
von Wolfgang Kralicek

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