Wien: Bar jeder Vernunft

Fiston Mwanza Mujila «Zu der Zeit der Königinmutter» (U)

Ein Stück, wie aus der Zeit gefallen: Eine versiffte Bar irgendwo im Nirgendwo, die Männer pissen auf den Boden, die arbeitslosen Prostituierten schwelgen in der glorreichen Vergangenheit. Damals, als sie bereit waren, «alle männlichen Elche zu befriedigen», die auf der Jagd nach Gold und Diamanten hier einkehrten, in der legendären New-Jersey-Bar. «Sie rochen nach Analbefleckung / Sie schwitzten wie die Dreckschweine / Sie tranken ohne Unterlass / Die Männer-Schweine.

» Die Nostalgie, die der im Kongo geborene und seit 2009 in Graz lebende Autor Fiston Mwan­za Mujila in seinem ersten Stück, das er auf Deutsch verfasst hat (vorher schrieb er auf Französisch), anschwellen lässt, ist nicht nur aus feministischer Sicht schwer nachvollziehbar. 

Am ehesten ist «Zu der Zeit der Königinmutter» eine lyrische Hymne auf Außenseiter und Mu­jila so etwas wie die Hetero-Version eines Bernard-Marie Koltès oder Jean Genet. Er schreibt Elegien auf Gestrandete, die sich die chaotische Welt auf ihre Weise aneignen, durch eine überbordende, bildstarke, fantasievolle Sprache, die sehr mu­sikalisch ist. Die Worte müssen «geöffnet» und «in Bewegung gebracht» werden, wie es im Stück heißt: «Worte ...

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Theater heute April 2019
Rubrik: Chronik, Seite 60
von Karin Cerny

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