Was ist jüdische Musik
SZENE 0
Eingeblendeter Text:
Im Sommer 2018 war ich in Polen auf der Suche nach Zeugen der Operation Wisła.
Sie sind jetzt schon sehr alt und fast alle sind Frauen. Ihre Geschichten sind fast alle gleich.
«Wir waren auf dem Feld. Dann kam ein Soldat. Er hat gesagt, wir haben eine Stunde zum Packen. Wir kamen zum Bahnhof. Mussten in Viehwaggons einsteigen. Wir sind lange gefahren. Viele sind gestorben. Und als wir ankamen, kannten wir die neue Gegend überhaupt nicht.
»
Nach der sechsten Geschichte dieser Art fing ich an mich zu langweilen. Vielleicht haben sie das irgendwo gelernt, dachte ich (alte Leute lügen oft). Vielleicht war alles aber auch wirklich so?
Ich bat sie, mehr von den Dörfern zu erzählen, in denen sie geboren wurden. Wer wohnte da noch? Ukrainer. Polen. Wer noch? Juden.
Und was ist mit den Juden passiert?
Ich habe gefragt – und sie haben geantwortet. Darum geht es hier natürlich nicht.
SZENE 1 – GESCHICHTE DER EHEFRAU
was bleibt wenn nichts bleibt am letzten Tag vielleicht der letzten Stunde Minute
vielleicht Sci-Fi
der letzte Mensch im Universum und das Universum verschwindet
Ende des Universums Ende des Weges
fast
was von dem was noch da ist soll ...
ANASTASIIA KOSODII hat das Theaters Zaporizka Nova Drama in ihrer ukrainischen Heimatstadt Saporischschja mitbegründet, wo einige ihrer Stücke aufgeführt wurden. 2017 arbeitete sie zudem als Kreativdirektorin am Projekt «Theatrical Laboratory: Behind the Borders of Fear» mit, das vor allem in kleinen ukrainischen Städten an der Grenze zu den damaligen Besatzungsgebieten einen Ort für Theater schaffte. 2019 wurde sie leitende Dramatikerin des PostPlay Theaters in Kiew. 2019 war sie zudem als Autorin an dem Projekt «City To Go», das in drei Städten der Regionen Donezk und Lugansk (Bachmut, Popasna, Mykolaivka) mit Kindern in lokalen Schulen aufgeführt wurde. Im Jahr 2020 schrieb sie das Stück «Was ist jüdische Musik» über ukrainischen Antisemitismus. 2021 arbeitete Anastasiia Kosodii zusammen mit Natalia Vorozhbyt an «Krim, fünf Uhr morgens», einem internationalen Projekt, das politischen Gefangenen gewidmet ist. Am Nationaltheater Mannheim ist sie in der Spielzeit 22/23 Hausautorin.
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Theater heute August/September 2022
Rubrik: Das Stück, Seite 101
von Anastasiia Kosodii
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Wligion, Kultur, Hautfarbe oder den Symbolen persönlicher Selbstbestimmtheit. Und antisemitische Darstellungen in «Stürmer»-Manier werden auch dadurch nicht ins Harmlose relativiert, dass Taring Padi in einem Statement zu ihrem Werk diese im Kontext anderer herrschaftskritischer Karikaturen verstehen.
Besorgniserregend an der Antisemitismus-Debatte zur documenta...
Man vergisst oft, dass für viele Länder Osteuropas der Kommunismus eine Zeit der Moderne war», gab der deutsch-russische Kunsttheoretiker Boris Groys nach dem Abriss des Palastes der Republik im Jahr 2007 zu bedenken. «Man will den Kommunismus bekämpfen, aber de facto bekämpft man die Moderne und landet bei vormodernen kulturellen Haltungen.»
Treffender kann man...