Unter Erwählten

Alvis Hermanis liest und spielt in Frankfurt Vladimir Sorokins «Ljod, das Eis»

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Folgende kleine Geschichte: Im Jahre 1908 fiel ein Meteorit aus Eis (Ljod) auf Sibirien. Ein blonder und blauäugiger Russe fand ihn, das seltsame Eis erweckte sein verhärtetes Herz, und ihm wurde ganz wohl dabei. Ein klarer Fall von Erweckung eines Auserwählten. Mit Hilfe eines Stückchens Ljod konnte er außerdem erkennen, welche Menschen außer ihm noch erwählt waren: Man muss ihnen nur mit einem Eis-Hammer auf die Brust hauen, bis sie ebenfalls verzückt sind – oder sterben. Normale Sterbliche vertragen die «Aufklopferei» nämlich nicht.

Insgesamt, das erfährt man allerdings erst gegen Ende, soll es 23.000 Ljod-Brüder geben. Wären sie alle gefunden, würden sie sich zurückverwandeln in Licht, und unser entarteter Planet Erde würde verschwinden. 

Diese – mit viel Sex und Crime garnierte – Story erzählt Vladimir Sorokin in seinem Roman «Ljod, das Eis». Und Sorokin erzählt noch ein bisschen mehr: Er verfolgt die Geschichte der zerstörerisch-erlösenden Ljod-Sekte von den Anfängen des 20. Jahrhunderts über Stalinismus, Faschismus bis in den russischen Neokapitalismus. Und siehe, von Epoche zu Epoche geht es den brutalen Welterweckern immer besser!

Und jetzt zu uns. Alvis Hermanis aus Riga ...

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Theater heute März 2005
Rubrik: Aufführungen, Seite 10
von Ulrike Kahle

Vergriffen
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