Theater, das wir verdienen

In fünfzig Jahrgängen «Theater heute» lässt sich auch ablesen, wie aus dramatisch naivem Widerstand postdramatisches Achselzucken wurde – in der Gesellschaft und auf ihren Bühnen. Ein Plädoyer gegen das große Einverständnis

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1. Teil  Spurensuche


Früher begann der Tag mit einer Schusswunde. Im Juni 1967 reist Ernst Wendt für «Theater heute» zur Experimenta nach Frankfurt am Main. Hier sein Bericht aus Heft 7/67:
«Der Schuß, der den Studenten Benno Ohnesorg in den Hinterkopf traf, fiel während der ersten Stunde der Experimenta II, das Stock­holmer Scala-Theater zeigte im Theater am Turm den ‹Gesang vom lusitanischen Popanz› von Peter Weiss.

Während eine frustrierte Stadt ein Schauspiel ihrer selbst inszenierte, ihrer Hysterien und Verdrängungen, offenbarte sich zur gleichen Zeit die Hilflosigkeit eines sich politisch nennenden Theaters, das sich auf nichts anderes zu berufen weiß als auf das penetrant selbstsichere Bewußtsein, recht zu haben. Während in Berlin Benno Ohnesorg starb, agitierte man auf der Bühne des Theaters am Turm gegen die kolonialistische Ausbeutung an und machte das Pamphlet durch eine eklektische Revuemusik, Blues und Folklore, bereits bürgerlich gewordene Unterhaltungsformen, genießbar. Der Protest feierte sich selbst.

Der Krieg im Nahen Osten begann am Montag – drei Tage später –, und er war schon zuende, als die Experimenta sich immer noch bemühte, Versuche eines neuen Theaters ...

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Theater heute Jahrbuch 2010
Rubrik: Zeitreise, Seite 88
von Robin Detje

Vergriffen
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