Selbstbebilderung
Narzissmus ist eine Zeitkrankheit. Keine individualpsychologische Charakterstörung, sondern eine soziologische Diagnose. Ökonomisch verbrämt als «Selbstmanagement», philosophisch kaschiert als «Selbstsorge» oder «Freundschaft mit sich selbst» wird von allen Seiten die Steigerung der Konzentration auf sich selbst gefordert. Jede Situation, in die wir geraten, jede Handlung, die wir tun, sei nur ein Spiegel unserer selbst, wird uns gesagt. Vor allem sich selbst zu lieben, ist dann nur rational.
Narzissmus ist die Norm, ist die Form von Realitätsverlust, die die Wirklichkeit uns heute nahe legt.
Tschechows schlaffer Anti-Held Iwanow stammt aus einer anderen Zeit, aus der der enttäuschten reformerischen Hoffnungen der russischen Intelligenz im zaristischen Russland, ein ehemals volkstümlerischer Aristokrat, nach jugendlicher Erregung vorschnell ermüdet. Dieser träge «überflüssige Mensch» ist aber auch ein Spiegel für sich selbst bespiegelnde, hektische, flexibilisierte Menschen.
Matthias Hartmann wählt für seine Bochumer Inszenierung eine spätere Fassung Tschechows, in der Iwanow nicht sang- und klanglos tot vom Stuhl fällt, wie in der Erstfassung, sondern sich mit dramatischem Akzent ...
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Der sehr junge Mann in der zeltartigen Daunenjacke hat sofort einen kleinen Schwips. Ob die Aussicht auf Ruhm und Glamour Schuld daran ist? Das bohemistische Flair der immer noch angesagten Kastanienallee im Hauptstadt-Bezirk Prenzlauer Berg, die Spötter bereits vor Jahren in Castingallee umgetauft haben? Oder liegt es doch nur am billigen Sekt, mit dem ihm die...
So nah sind die Berge. Wie ein Schweizer Modell-Städtchen ist Sarajevo eingebettet in die Landschaft, man möchte an diesen ungewöhnlich sonnigen Oktobertagen am liebsten einfach loswandern, direkt aus der Stadt hinaus in die Natur – doch davor warnt nicht nur das Auswärtige Amt: Noch immer ist die Gegend schwer vermint. Noch immer bedeutet von den Straßen...
Zum ersten Mal begegnete ich Palitzsch bei der ersten Probe zur ersten Aufführung des Berliner Ensembles im Zuschauerraum des Deutschen Theaters in der Schumannstraße.
Wir hatten da eigentlich beide nichts zu suchen. Palitzsch war der Dramaturg des Ensembles, und ich ein junger Schauspieler, der keine Rolle im «Puntila» hatte. Aber da uns keiner wegschickte,...