Postfeudale Welten

Die Saison beginnt in Frankfurt mit Ersan Mondtags «Iphigenie» und Tom Lanoyes «Königin Lear», inszeniert von Kay Vogel

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«ALL I SEE» – alles, was ich sehe – steht auf dem Szenenvorhang. Zum Auftakt fangen die Buchstaben nervös zu blinken an. Was sehe ich, was kann ich erkennen, werde ich als der erkannt, der ich bin? Im Verlauf seiner sehr freien «Iphigenie»-Adaption auf der Kammerspielbühne des Frankfurter Schauspiels lässt Ersan Mondtag ein paar Mal den Zusammenhang von Erkenntnis und Gewalt aufflackern, etwa in der Projektion eines Stills aus Lana del Reys Video «High by the Beach» auf der Bühnenrückwand.

Die Sängerin hält da ein monströses Maschinengewehr im Arm, mit dem sie gerade einen aufdringlichen Paparazzi samt Hubschrauber abgeschossen hat. Nicht genau Hinschauen kann gefährlich werden – zu genaues aber auch.

Doch was hat das alles mit Iphigenie zu tun, jener von Goethe in den schönsten Tugendfarben ausgepinselten Idealfigur, die zwischen Pflicht und Neigung den goldenen Kompromiss schließt? Sie ist, so der Mythos, in letzter Sekunde dem Opfertod durch Vater Agamemnon entkommen, weil sie von der Göttin Artemis mit einer Hirschkuh vertauscht und in deren Heiligtum auf der Insel Tauris gebracht wurde. Hier wird sie deren Priesterin, die selbst im Namen der Gottheit Opfer fordert und um ein ...

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Theater heute Oktober 2016
Rubrik: Aufführungen, Seite 15
von Eva Behrendt

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