Mehr Luft

Iwan Wyrypajew «Sauerstoff»

Die «Glaubenskriege» an den Münch­­ner Kammerspielen gehen munter weiter, Schlachtfelder, auf denen um verlorene Werte und religiöse Er­kennt­­nisse gekämpft wird, lassen sich auch in den hintersten Winkeln des Hauses einrichten. Wer zum Beispiel «Sauerstoff» des jungen russischen Drama­tikers Iwan Wyrypajew (Jahrgang 1974) sehen will, muss im Neuen Haus viele Stufen unter die Erde hinabsteigen, wird durch lange Gänge geschleust und steht schließlich vor mächtigen Eisentüren.

Warum dieser Aufführungsort so fernab der Welt gewählt wurde, hat freilich sehr weltliche Grün­de: Hinter den Türen tut sich stil­echt eine Disco in glitzernd gelackter Provinz-Ärmlichkeit auf, ein trostloser «Vergnügungs»-Ort, den grau-schmut­ziger Waber-Nebel gnädig einhüllt und vor allem Ohren verstören­de Wum­mer-Musik betonerweichend ausfüllt. Wer hier nach einem Grund fürs Leben sucht, hat ihn schon lange verloren.
Wyrypajews Sätze donnern wie Soundfetzen durch den Raum, brechen sich an den kahlen Wänden, prallen als Schreie ans Trommelfell und pochen verstümmelt im Kopf nach, wie die schmerzenden tiefen Töne aus den Lautsprecher-Boxen weiter unten in der Magengegend. So gesehen (und ge­hört) ist das ...

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Theater heute Mai 2005
Rubrik: Chronik, Seite 41
von Bernd Noack

Vergriffen
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