Kessel der Erinnerung

Mülheim: Peter Handke «Immer noch Sturm»

Die Außenwelt scheint verloren, doch von innen fängt alles erst an. Der Einsame im Krankenbett liegt bei Gralf-Edzard Habben (Bühne) auf einem Steg aus sterilen weißen Kacheln in einem Meer aus schwarzen Ascheflocken. Dann öffnet sich das Fenster hinter dem Todgeweihten mit me­taphysisch-dunklem Rauschen und lässt die schwarz gekleideten, bleichgeschminkten Ahnen herein. Die Erinnerung an sie erweckt das «Ich» zum Leben und zum Schreiben.

«Immer noch Sturm» von Peter Handke, uraufgeführt durch Dimiter Gotscheff im Sommer 2011 in Salzburg unter einem grünen Konfettiregen, ist eine Geistergeschichte, in der ein Schriftsteller um seine Kindheitserinnerungen und seine Worte kämpft, aber auch eine slowenische Familie um ihre Sprache und Identität im «Deutschen Reich» – beides ist untrennbar verbunden.

Handkes vielleicht letztes großes Werk ist ein gewaltiger monolithischer Brocken, ein zutiefst privater Weltentwurf von 166 eng bedruckten Seiten, doch der Begriff «Textfläche» taugt hier nicht: Es ist eher ein theatralischer Roman, eine ganz eigene Gattung von Bühnen–vorlage. Es geht hier um große Themen wie Schuld und Sehnsucht, Verantwortung und Lebenskampf, darum, wie Vergangenheit in ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Theater-heute-Artikel online lesen
  • Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Theater heute Juni 2012
Rubrik: Chronik, Seite 60
von Dorothea Marcus

Weitere Beiträge
Vom Whisky verweht

Geht es um Sport und Homosexualität, hat man es auch heute noch mit einem explosiven gesellschaftspolitischen Thema zu tun. Alleine das zeigt, wie weit Tennessee Williams sich vorwagte, als er vor mehr als fünfzig Jahren den Konflikt des Sportreporters Brick während einer Fami­lienfeier zum Köcheln brachte. Man hat sich zu Ehren von Big Daddy versammelt, und da...

Christine Wahl: Am tiefen See

Auf Podien und Symposien rufen junge, progressive Dramatiker ja gern mal nach so konservativen Altlasten wie inszenatorischer Werktreue. Umso erfreulicher, dass jetzt für alle, die sich mit dieser Forderung bis dato nicht durchsetzen konnten, Abhilfe in Sicht scheint: Vieles deutet darauf hin, dass Theaterautoren ihr Problem schlagartig los wären, wenn sie einfach...

Dämonen etc.: Der Existenz­beauftragte

Als Rainald Goetz noch kein preisgekrönter Schriftsteller und Dramatiker, sondern Kinder–buchrezensent war, «destillierte» er aus den Kritiken von Benjamin Henrichs, Mi­chael Skasa und Peter von Becker sämtliche Adjektive, um sie später in eigenen Texten verwenden zu können. Doch Joachim Kaiser, einst Feuilletonchef der «Süddeutschen Zeitung», schickte den jungen...