Im Ghetto der Perfektion
China besitzt eine von der hiesigen sehr unterschiedene und auf den westlich und besonders vom deutschen Theater geprägten Intellektuellen zunächst eher fremd wirkende Theaterkultur. So hat das Sprechtheater, bei uns mindestens institutionell noch immer das Herzstück des Theaterlebens, hier eigentlich keine Tradition. Das große Erbe der chinesischen Theatergeschichte ist die Operntradition. Ähnlich wie in Japan, wo man als Schritt in die Moderne gegen Ende des 19.
Jahrhunderts den europäischen «Realismus» eines Sprechtheaters importierte, holte man sich in China (nach Anfängen zu Beginn des 20. Jahrhunderts) in den ersten Jahren der Volksrepublik den Realismus als, freilich verkürzte, Lehre Stanislawskis aus der Sowjetunion. Und noch immer ist hier ein an Stanislawski orientierter Realismus für das Theaterverständnis in weiten Kreisen nicht nur des breiten Publikums maßgeblich. Wobei in China oft genug harsche Kritik an der schematischen Übernahme dieses Realismuskonzepts geübt wird, das die Wahrnehmungsbereitschaft für andere Spielformen des Theaters in der Gegenwart des 21. Jahrhunderts lähmt.
Ein zweiter Hemmschuh für formal innovative und kritische Theaterformen ist der ...
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Theater heute April 2016
Rubrik: Ausland, Seite 34
von Hans-Thies Lehmann
Peter Handke war und ist eine Zumutung für das Theater. Zuerst, in den frühen «Sprechstücken», trieb der Autor es systematisch an seine formalen Grenzen. Seit «Über die Dörfer» (1981) schreibt er dramatische Gedichte, in denen es zwar vergleichsweise konventionelle Dialoge und Figuren gibt, die auf ihre Art aber ähnlich weit weg vom Drama sind wie Elfriede...
Es ist die westliche Bühnen-Universalkeule für alle Fragen von Aufklärung und Religionstoleranz: Kaum ein Stück wurde nach dem 11. September in Deutschland häufiger gespielt als Lessings «Nathan der Weise». Volker Lösch thematisiert listig die Schwierigkeiten eines Textes, der seit Jahrhunderten als Bollwerk der westlichen Aufklärung behandelt wird und von dem...
Der Abend beginnt mit einer Provokation für Kokovoren und andere Fleischverächter. Auf der Bühne werden Schweinskoteletts gebraten, und damit es auch wirklich alle im Publikum riechen können, fächelt der Koch den Zuschauern den Bratenduft entgegen. Wir befinden uns an Bord eines Dampfers, mit dem der Nürnberger Lebensreformer August Engelhardt im Jahr 1902 gerade...