Historisches Treibgut

nach Peter Weiss «Die Ästhetik des Widerstands»

Wer noch vor Ende des letzten Jahrtausends Geis­teswissenschaften studierte, hielt dieses gigan­tische, absatzlose Buch gewiss in den Händen. Ob als Seminarthema, in intensiver Einzelstudie oder studentischer Arbeitsgruppe – «Die Ästhetik des Widerstands» war Kultbuch und Pflichtlektüre. Denn hier wurde der Widerstand der Arbeiterbewegung gegen den Faschismus zwischen 1937 bis 1942 gründlichst verhandelt und gefragt, was Kunst in diesem Zusammenhang leisten kann.

Zugleich staunte man über die Wucht der Form, die genresprengende Dimension des 1000-seitigen Werks, das mit seinen kunsttheoretischen Betrachtungen und geschichtlichen Abhandlungen mehr Essay als Roman zu sein schien. Heute ist das zwischen 1971 und 1981 entstandene Haupt­werk von Peter Weiss selbst den Studierenden größtenteils unbekannt. Das mag am verschulten System von Bachelor und Master liegen, möglicherweise auch am bierernsten Pathos des Werkes aus dem totalitaristischen Geist des 20. Jahrhunderts. Zudem ist die schwierige Ausein­andersetzung der Linken mit sich selbst längst in eine andere Phase eingetreten. Hauptangriffsfläche und Problem sind nicht mehr Faschismus und schlecht realisierter Kommunismus. Vielmehr ...

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Theater heute August/September 2012
Rubrik: Chronik, Seite 58
von Natalie Bloch

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