Heiliger Antonius!
Erinnert sich noch jemand an das Intertextualität-Seminar Anfang der 1980er Jahre? Die brandgefährlichen Thesen aus Frankreich, bei deren bloßer Erwähnung in schriftstellerheiligen Thomas-Mann-Colloquien die Neonröhren im Raum zu flackern begannen? Der Autor sei tot, so das Donnerwort von Roland Barthes, und das war kategorisch gemeint. Es gebe kein Originalkunstwerk, die Welt sei ein einziger Verweisungsdschungel aus Zeichen und Bedeutungen, so das Argument, und was aus dem Kopf des Autors komme, sei vorher in ihn aus Literatur und Erleben eingeschrieben worden.
Michel Foucault hat das einmal besonders drastisch an Flauberts «Versuchung des Heiligen Antonius» vorgeführt – eine riesige, unausschöpfliche, übrigens zutiefst orientalistische Zitatfundstelle. Und erst die Ikonen der Moderne: Proust, Joyce, Mallarmé. Allesamt bestenfalls Arrangeure im Archiv ihrer Lesefrüchte und Erinnerungen.
Dem schöpferischen Originalgenie, dieser Pathosformel der Romantik, wurde damals schwer zu Leibe gerückt. Die literatische Deutungshoheit hatte es bald verloren, der intertextuelle Diskurs triumphierte ziemlich flächendeckend, aber eine stille Rückzugskammer konnte der um seine Armut besorgte ...
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Theater heute Juli 2021
Rubrik: Foyer, Seite 1
von Franz Wille
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