Ende der Illusionen

In Leipzig entzaubert Wolfgang Engel mit einer frühen Fassung von Schillers «Don Karlos» den idealistischen Freiheitshelden Posa

Was ist das für ein Posa? Wenn der allseits beliebte Freiheitsheld zum ersten Mal in Kamelhaarmantel und elegantem Schal die Drehbühne des Leipziger Schauspiels betritt, gleicht er einem ambitionierten Jurastudenten, dressed to succeed beim Vorstellungsgespräch in der global agierenden Kanzlei. Die heftige Umarmung seines bäuerlichen Prinzenfreunds Karlos erduldet Posa steifen Arms. Das soll der feurige Kämpfer für die unterdrückten Niederlande sein? Kalkül steht ihm im blassen Gesicht, die Intelligenz des schmalen Eigennutzes.


Es ist der spannendste Moment in Wolfgang Engels Leipziger Inszenierung des Schiller-Thrillers zum gleichnamigen Jahr, wenn dieser taktierende Ehrgeizling sich im Bewerbungsgespräch mit seinem Arbeitgeber in spe, dem spanischen König Philipp, in eine Emphase hineinredet, die er an sich selbst nicht kennt. Eben noch hatte er die gezielte Regelverletzung, die anstößige Distanzeinebnung kalkuliert benutzt, näher und näher war er dem König gerückt, auf Augenhöhe hatte er den Stuhl herangezogen, da geht es mit ihm durch: die Entstehung der politischen Leidenschaft beim Reden. Jetzt blickt er fassungslos: Es gibt danach keinen Weg zurück.
Es ist nicht der ...

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Theater heute Mai 2005
Rubrik: Aufführungen, Seite 12
von Barbara Burckhardt

Vergriffen
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