«Die Polarisierungen nehmen zu»

Die Corona-Krise durchschneidet die Gesellschaft in neuer Weise: über eine Pandemie als Diskursphänomen und Projektionsfläche, eine Renaissance von Staatlichkeit und kurzfristige Solidaritätsgefühle, über das neue Kriterium der Systemrelevanz und eine Logik des globalen Vergleichs – ein Gespräch mit Andreas Reckwitz

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Theater heute Was macht Corona mit unserer Gesellschaft, zumindest soweit sich das jetzt schon absehen lässt? Vielleicht ist es sinnvoll, noch einmal ein paar wesentliche Entwicklungen vor allem seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts und deren Folgen aufzurufen. Zentrale Stichworte dafür wären Globalisierung, Postindustrialisierung und Digitalisierung.

Was ist da mit uns passiert?

Andreas Reckwitz Genau eine solche Einbettung wäre für meine Perspektive auf die Corona-Krise zentral: Also nicht davon auszugehen, dass jetzt plötzlich «alles ganz anders wird», dass wir einen Epochenbruch erleben, sondern dass in dieser Corona-Zeit Strukturmerkmale der spätmodernen Gesellschaft und die damit verbundenen Probleme besonders deutlich zutage treten. Denn in den letzten Jahrzehnten lassen sich grundsätzliche Neukonfigurationen beobachten – weg von einer industriellen Moderne, die das 20. Jahrhundert beherrscht hat und in der Nachkriegszeit der 1960er, 70er Jahre in eine ausgereifte Form eingetreten ist, von der man annahm, dass sie immer so weitergehen würde. Was tatsächlich passiert ist, ist dann aber seit den 80er Jahren ein erst schleichender, dann sich beschleunigender ...

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Theater heute Jahrbuch 2020
Rubrik: Die große Pause, Seite 10
von Eva Behrendt und Franz Wille

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