Die Berufungsfarce
Seit Kaiser Franz Josephs Zeiten (bis zur Ära des János Kádár) haben Politiker entschieden, wer Intendant des Nationaltheaters wird. Ich verstehe nicht, wieso sie jetzt unbedingt diese Wettbewerbsfarce brauchen», bemerkte Mari Törocsik, eine der bekanntesten ungarischen Schauspielerinnen und Mitglied im so genannten «professionellen Komitee», das über die neue Leitung des Nationaltheaters zu entscheiden hatte.
Sie hatte als einzige für den Amtsinhaber Róbert Alföldi gestimmt; als das Ministerium allerdings den längst schon vorhergesagten Namen des Siegers bekanntgab, wurde ihr Votum nicht erwähnt: «Einstimmig» habe sich das Gremium für Attila Vidnyánszky entschieden. Die alte Schauspielerin, Ensemblemitglied des Nationaltheaters, die als durchaus konservativ gilt, war wütend und fühlte sich gedemütigt. Es war das Ende eines langen, traurigen Prozesses, Teil des gegenwärtigen ungarischen Kulturkampfes. Der lang erwartete Traum der extremen Rechtspartei Jobbik, den als «jüdisch» und «schwul» geschmähten Alföldi loszuwerden, war wahr geworden.
Geschichte eines «Wettbewerbs»
In einem Land, in dem Künstlerische Leiter in der Regel fünfzehn bis zwanzig Jahre auf ihren Posten bleiben, ist ...
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Theater heute Februar 2013
Rubrik: Magazin: Kulturpolitik in Ungarn, Seite 67
von Andrea Tompa
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