Der Künstler als Seiltänzer
Erinnerung in Gegenwart zurückzuverwandeln – davon erzählte Jonke in seinem Theaterstück «Gegenwart der Erinnerung» (1995). Dass das niemals gelingen kann, weil es die Zeit und ihre Risse, die Erinnerung und das Vergessen, ja letztlich sogar Leben und Tod aufheben würde, wusste auch Jonke, und dennoch trieb er sein Spiel mit dieser Möglichkeit. Nicht aber, um sich dem besseren Gestern hinzugeben, sondern als eine von mehreren Varianten des Spiels mit Raum und Zeit.
Früher – im Geist von Frühromantik oder Surrealismus – galt so ein Denken als revolutionär, nachzulesen etwa bei Karl-Heinz Bohrer. Jonke rührte in immer neuen Formen am Unsagbaren, am Nicht-Möglichen, am Unendlichen. Sein ganzer Lebens- und Schaffenskampf galt dem Bemühen, hierfür eine Sprache zu finden, Hofmannsthals Chandos-Krise mit Poesie zu beantworten, wie im «Fernen Klang» (1979), seiner vielleicht gelungensten Prosa.
Wenn man Gert Jonke wippenden Gangs seine Aktentasche schwenkend durch Wien laufen sah, vorzugsweise durch den siebten Wiener Gemeindebezirk, fiel er sofort auf. Hier, wo noch die alte städtische Struktur dominiert, wie man sie früher in jüdischen Vierteln vorfand, wo es also noch Posamentenhändler, ...
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