Der amerikanische Traum von der Tragödie

Die Freiheit vom Optimierungsdenken: ein Plädoyer für das zweckfreie Theater

In der Marktwirtschaft ist der Erfolg das einzige Thema. Aber das Thema des Theaters ist der Misserfolg, die Krise, das Scheitern. Die Tragödie, die Katastrophe sind ehrwürdige dramatische Errungenschaften.

Solche Behauptungen enthalten nichts Neues und schildern nur den Normalfall der Theaterkunst, nicht erst seit Beckett, sondern seit 2.500 Jahren.

Dass das heute überraschend oder besonders klingt, für manche auch gefährlich, hat vielleicht selbst etwas Tragisches und natürlich damit zu tun, dass das Theater zunehmend als ganz gewöhnliches Wirtschaftsunternehmen verstanden wird, das sich wie jedes andere Unternehmen unter Nutzensgesichtspunkten respektive nach ökonomischen Erfolgskriterien legitimieren muss. Und da ist dieses Tragödienbewusstsein natürlich hinderlich.

Das wurde vor nicht allzu langer Zeit selbst in den Vereinigten Staaten von Amerika, der Nation der totalen Erfolgsfixierung, noch anders gesehen. Da konnte noch Mitte des letzten Jahrhunderts ein Mann, den nichts mehr begeisterte als die Tragödie, zum bedeutendsten Dramatiker avancieren: Eugene O’Neill. Von ihm stammt das folgende Bekenntnis, das kaum zu dem Überwachungs- und Kontrollwahn passt, der uns heute aus ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Theater-heute-Artikel online lesen
  • Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Theater heute Juni 2015
Rubrik: Essay, Seite 4
von Carl Hegemann

Weitere Beiträge
Hannover: Schritte im Obergeschoss

Der eigentliche Star des Abends ist das Bühnenbild von Jo Schramm. Da fährt das ganze Erdgeschoss einen Meter nach unten, als wir im Obergeschoss die Schritte des rastlos wandelnden Bankdirektors hören. Gerade so viel versinkt die Bühne, dass wir unter dem tief hängenden Portal die Beine Borkmans sehen können, wie er in einem schwarz ornamentierten Salon auf und ab...

Bonn: Schwankende Gestalten

Zwei Seelen wohnen, ach, in seiner Brust. Eine gespaltene Persönlichkeit war Faust ja schon immer. Daraus lässt sich ein Regie-Konzept machen. In Zeiten ökonomischer Beklemmung, und unerklärlicherweise befindet sich auch im wohlständi­gen Bonn das Theater in einem finanziellen Engpass, ist radikale Personenreduzierung, die nach Vermehrung aussieht, ein raffinierter...

Wiesbaden: Apokalypse mit Glühbirne

Dass die mindestens hundertachtzig Fremdsprachen beherrschende Karrieristin Verena Schütz (Barbara Dussler) nach ihrem Bewerbungsgespräch im Stadtpark beinahe von einer Krähe erschlagen wird, schürt natürlich erst einmal große apokalyptische Hoffnungen. Das Internet versagt, der Strom fällt aus, die Konsumenten schieben Panikattacken, und das Animalische segelt...