Das Visier immer oben
Du, Bibiana, bist ein streitbarer Geist, von einer enormen Wachheit und Aufmerksamkeit und einer großen Bereitschaft zum Mitdenken, so dass man sich als Regisseur bis zur Premiere und darüber hinaus in einem Gespräch mit Dir befindet, in dem Lob wie eine unstatthafte Unterbrechung der gemeinsamen Arbeit wirken würde.
Lob hat ja immer auch etwas Gefährliches, weil es abhängig macht, und zwar nicht nur wie eine Sucht, weil man als Gelobter dazu neigt, immer mehr davon haben zu wollen, sondern auch deshalb, weil es den Gelobten sprachlos macht, während er auf Kritik immer mit Arbeit reagieren kann.
Ich halte übrigens die Gefahr in Deinem Fall für nicht besonders groß, weil ich mir nur sehr wenige Dinge vorstellen kann, die Deine Unabhängigkeit ernsthaft gefährden könnten, und ich nicht glaube, dass Lob dazugehört. Das macht mir heute auch Mut, ganz ungeniert draufloszuloben. Deine Kompromisslosigkeit, das Unverbogene, Lautere, manchmal auch etwas Laute, jedenfalls nie Unbestimmte Deines Wesens, eben Deine Unabhängigkeit schätze ich ungemein. Das macht das Arbeiten mit Dir zu einem abenteuerlichen Vergnügen, zu einer steten Auseinandersetzung um Inhalte, Emotionen, Wirkungen und den ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
- Alle Theater-heute-Artikel online lesen
- Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen
Theater heute Jahrbuch 2012
Rubrik: Die Spieler des Jahres, Seite 99
von Martin Kusej
Wer einmal Constanze Becker gegenüber gesessen und in ihre großen dunklen Augen geblickt hat, wird die Tiefgründigkeit, die Anmut und die Wahrhaftigkeit des Schauspielerberufs erahnen können. Es war kurz vor der Sommerpause 2006, als ich Constanze Becker das erste Mal begegnete. Wir saßen auf dem Vorplatz des Deutschen Theaters, ich war dort Schauspieldirektor, und...
Die Welt der Eltern ist groß. Es gab die Angst, nicht Herr über das Thema
zu werden. Das Material vermehrte sich, wuchs; die elektronischen Notizbücher mit einer unüberschaubaren Zahl an Links schwollen an, die vielen Zettel und Verweise, ausgelegt auf dem Boden, bereit, zu einem Teppich verwoben zu werden, nahmen viele, zu viele Quadratmeter ein....
Vor fast hundert Jahren – und damit lange vor Artaud – hatte der russische Theateravantgardist Nikolai Jewreinow das Theater mit dem Schafott verglichen. Er träumte von einer Theatralisierung des Lebens und sah in Napoleon den größten Regisseur aller Zeiten. In seinem Kabarett «Der Zerrspiegel» bereitete er dem damaligen Theater symbolisch das Schafott, indem er...