Das österreichische Kettensägenmassaker

Wiener Schmankerln an der Burg: David Bösch inszeniert Nestroys «Talisman», Barbara Frey Molnárs «Liliom»

So einen Theatervorhang hat das Akademietheater wahrscheinlich noch nie gesehen: Der rote Samt ist über und über mit Dreck verschmiert. Das gilt aber auch für das Kostüm von Salome Pockerl, der rothaarigen Gänsemagd aus Johann Nestroys Posse «Der Talisman» (1840). Eigentlich ist die ganze Bühne (Patrick Bannwart) total versaut, und die Umgangsformen sind auch nicht zivilisierter.

Die halbstarke Dorfjugend verhöhnt Salome mit sexistischen Witzen und derbem Liedgut, sogar eine Locke schneiden sie ihr ab; ihre coole Reaktion lässt darauf schließen, dass sie sich an die Demütigungen längst gewöhnt hat.

Rauer, härter, schmutziger
 
Regisseur David Bösch lässt von Anfang an keinen Zweifel daran, dass er mit dem gewohnten biedermeierlichen Nestroy-Bild brechen will. Hier geht es rauer, härter, schmutziger zu: Willkommen im Lumpenproletariat. Bösch ist allerdings nicht der Erste, der am Burgtheater neue Nestroy-Töne sucht. 1998, noch zu Peymann-Zeiten, hat Frank Castorf in «Krähwinkelfreiheit» Szenen aus drei Nestroy-Stücken mit Gräuel­berichten aus dem Jugoslawienkrieg und Jörg-Haider-Zitaten zu einer echten Wiener Melange vequirlt: aggressiv und schlampert zugleich. Und Martin Kusej hat ...

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Theater heute Juni 2013
Rubrik: Aufführungen, Seite 21
von Wolfgang Kralicek

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