Das Agora-Prinzip
Im blütenweißen Hemd tritt Alex Baur, geschätzter Endfünfziger, nach drei Prozesstagen in den Zeugenstand, um stellvertretend das «letzte Wort der Angeklagten» zu sprechen. Die Tatverdächtige ist Baurs Arbeitgeberin, die Schweizer «Weltwoche» – bekanntermaßen ein Blatt, das Minarette, Kopftücher, Homosexuelle und andere traditionell eher SVP-ferne Phänomene zu seinen Lieblingsfeindbildern zählt.
Als die «Weltwoche» letztes Jahr auf ihrem Cover das Foto eines kleinen Roma-Jungen druckte, der – mit einer Pistole in der Hand – direkt auf den Betrachter zielte und das Ganze mit der Schlagzeile «Die Roma kommen: Raubzüge in die Schweiz» garnierte, wurden verschiedentlich erfolglos Klagen angestrengt. Tatsächlich war das Bild auf einer Mülldeponie im Kosovo entstanden, wo ein Kleinkind stolz das einzige Spielzeug in die Kamera gehalten hatte, das es weit und breit finden konnte: eine Plastikpistole.
Den Prozess gegen die «Weltwoche», der realiter also nie stattfand, aber mental permanent im öffentlichen Erregungsraum steht, inszenierte nun der Schweizer Regisseur Milo Rau als fiktive Theater-Debatte – allerdings mit realen Betroffenen, tatsächlichen Diskursführern und juristischen ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein

- Alle Theater-heute-Artikel online lesen
- Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Theater heute Juni 2013
Rubrik: Aufführungen, Seite 14
von Christine Wahl:
Das «missing link» zwischen John Cages Geräusch-Musik-Konzepten und dem nun auch schon traditionellen Techno ist endlich als Werk eines Tüftler-Künstlers aus Finnland dargestellt. Der 1935 geborene Martii Mauri begeisterte sich in den frühen sechziger Jahren an seinen Tonbandaufnahmen von russischen Traktorenmotoren, deren Diesel-Ding-Ding-Dong später als Blaupause...
Besser hätte man es auch nicht inszenieren können, um die Geschichte richtig rund zu machen: Der Sieger des zehnten Körber Studios Junge Regie im Thalia Theater in der Gaußstraße heißt «Der souveräne Mensch», startet als Lecture Performance und landet hinter raumhohen schwarzen Samtvorhängen. Und es sind die Angewandten Theaterwissenschaftler aus Gießen, die ihn...
Was hat König Ödipus mit der Finanzkrise zu tun? Weil die «Schuld» des Königs, der unwissentlich den Vater erschlagen und die Mutter geheiratet hat, so ähnlich klingt wie «Schulden»? Weil die zahlungsunfähigen amerikanischen Eigenheimbesitzer ihre Kreditverträge ebenso wenig überpeilt haben wie der Thebaner seine Familienverhältnisse? Oder weil sie ihre Häuser...