Christoph Schlingensief: Wunderbar!

Ein Vorschlag zum Regietheater – letzte Worte zur Saisoneröffnung

Da hatte ja einer jetzt eine ganz tolle Idee, zumindest fürs Theater. Herr Kehlmann hat gesagt: Alle Klassiker nur noch einmal inszenieren, und zwar richtig geradeaus, so wie es da steht. Zum Beispiel Hamlet: Stuhl, Totenkopf, Ophelia im Wasser, gucken, sprechen, fertig. In die Box, Siegel drauf und ab durch Deutschland. Die Leute sehen überall dasselbe und können sich auch endlich über dasselbe unterhalten. Wunderbar. Da würde man den Kritikern auch einen Gefallen tun.

Die müssen nicht mehr hektisch von hier nach da reisen, Flieger fast verpasst, schlechte Inszenierung, Sekt verschüttet – oder auch gute Inszenierung, die den Kritiker aber zu sehr an Wien oder Berlin oder was auch immer erinnert. Ich meine, da wird man ja verrückt. Man hat’s ausgerechnet: Statistisch gesehen muss ein Kritiker in einem gewöhnlichen Kritikerleben 120 Mal den Hamlet angucken. Was soll denn in diesem Kopf noch stattfinden? Was soll überhaupt noch in diesem Menschen stattfinden? Das muss doch zum Kotzen sein, da immer drin zu sitzen und sich zu fragen, ja, wie haben wir’s denn diesmal gemacht? Hamlet als Frau? Oder die Schauspieler echte Neonazis, wie bei mir damals in Zürich? Oder als Hausfrauenchor? ...

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Theater heute Oktober 2012
Rubrik: Foyer, Seite 1
von Christoph Schlingensief

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