Blitz, lass nach

Dramatische Kulturkritik: Botho Strauß schreibt mit «Die Schändung» Shakespeares «Titus Andronicus» um, Thomas Langhoff inszeniert die deutsche Erstaufführung am Berliner Ensemble

Botho Strauß ist ja Romantiker. Wobei. Vielleicht eher ein Propagandist des Romantischen. Ein Artenschützer. Denn mindestens ebenso viel wie mit dem Geträumten und Fantasierten befasst er sich damit, dass die anderen es leugneten, mit Füßen träten und überhaupt einen globalen, technisch-digital gestützten und kulturell verbräm­ten Kampf dagegen führten.

In der Haltung eines letzten Sehers sendet er regelmäßig Botschaften aus, deren gelehrte Distanziertheit immer beeindruckt, deren kritischer Gehalt jedoch am Ressenti­ment gegen alles krankt, was Zugriff nimmt und teilhat an der Welt, anstatt sie nur vom Rande aus, höchstens «auf Zehenspitzen» entweder anzubeten oder zu belauern.

Das Zweckmäßige und Allgemeine, das Naheliegende und Einsichtige ist Botho Strauß verhasst. Er schützt sich davor mit Meditationen über jenes, was es entweder nicht (mehr) gibt oder was wenigs­tens nicht verstanden werden kann. «Einstweh». «Beginnlosigkeit». Oder so. Gerne bezeichnet er sich als «Fulgurist», nach fulgur, dem lateinischen Wort für Blitz. In jedes System, so warnt er genüsslich, könne allzeit etwas einbrechen, das alles umstürze: das «heilig Unvorhersehbare». Womit er eine ziemlich schlechte ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Theater-heute-Artikel online lesen
  • Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Theater heute März 2006
Rubrik: Aufführungen, Seite 12
von Petra Kohse

Vergriffen
Weitere Beiträge
Die Inszenierung des Realen

Die «Rückkehr der Bürgerlichkeit» war in den letzten Mo­naten der große Dauerbrenner unter den Feuilleton­debatten. Bei allen Streitereien darüber, wie das angeb­liche Revival bürgerlicher Lebensart (Stichwort Messer­bänkchen) denn nun einzuordnen sei, bei allem Gezeter darum, ob die Forderung nach mehr bürgerlichen Tugenden (Stichwort Eigenverantwortung und...

Der schnelle Weg nach Osten

Dieser Trigorin ist nicht von hier. Nicht, dass er keine Manieren hätte, die Sprache nicht beherrschte oder der einzig Blonde unter Brünetten wäre. Es sind Nuancen, die den etablierten Schriftsteller aus Tschechows «Möwe» von der Theaterfamilie unterscheiden, in der er als Freund und Begleiter der Schauspielerin Irina Nikolajewna Arkadina (Eszter Csakanyi) zu Gast...

Die klärende Stimme

Zuletzt habe ich ihn vor einem guten Jahr gesehen, als fanatisch intoleranten Patriarchen in Lessings «Nathan der Weise» am Schauspiel Frankfurt. Erst saß er still auf einer Bank links über dem Abgrund, zu dem sich die Bühne geöffnet hatte. Als er drankam, ging er, von einer kostümierten Souffleuse begleitet, auf seinen Ex-Kathedra-Platz hinten über dem Abgrund,...